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Lissabonstrategie

 

Präsident Dr. Norbert Lammert:

 

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.

 

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir in dieser Debatte heute von der Regierung und den Regierungsfraktionen über die Zukunft Europas und insbesondere über die Lissabonstrategie gehört haben, ist in hohem Maße widersprüchlich; das muss man schon sagen. Die Ausführungen des Kollegen Kelber zur ökologischen Bedeutung und zur Nachhaltigkeit der Energiepolitik kann ich zumindest in weiten Teilen unterstützen. Aber, Kollege Kelber, Sie können doch nicht damit zufrieden sein, dass Sie zwar für eine fortschrittliche Rhetorik verantwortlich sind, Kollege Steinmeier heute Morgen aber kein einziges Mal in seiner Regierungserklärung das Wort "Nachhaltigkeit" im Zusammenhang mit der Lissabonstrategie erwähnt hat. Das kann doch nicht sein.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN - Ulrich Kelber [SPD]: Das müssen Sie aber mal nachlesen!)

Die Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung - das sollte man auch der Regierung sagen - ist nach Art. 6 des EG-Vertrages ein globales Ziel dieser Verträge. Die Nichtberücksichtigung im Rahmen der Lissabonstrategie verstößt gegen Art. 6. Denn die nachhaltige Entwicklung ist das allen Gemeinschaftspolitiken übergeordnete Ziel. Ökologische Gründe stehen bei der Regierung nicht im Vordergrund. Aber weil wir wissen, dass eine gesunde Umwelt, ein schonender Umgang mit Ressourcen und die Förderung von Innovationstechnologien im ökologischen Bereich ökologisch wichtig sind, aber auch ökonomisch die Zukunft der Europäischen Union prägen müssen, ist für uns Bündnisgrüne die Nachhaltigkeit ein zentraler Punkt der Lissabonstrategie. Das sollte diese Regierung im Interesse unserer ökonomischen Struktur in sehr viel stärkerem Maße berücksichtigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kelber, auch das, was Sie zur Energiepolitik gesagt haben, ist richtig. Aber wenn man sich das Regierungshandeln konkret anschaut, stellt man fest: Einerseits steht in der deutsch-französischen Vereinbarung die Energiepolitik ganz vorne. Man spricht sich dafür aus, sie zu einem europäischen Thema machen zu wollen. Andererseits stehen in anderen Reden Deutschland und Frankreich Seit' an Seit' bei der Verhinderung der Europäisierung dieses Bereiches. Frau Merkel hat sich auch heute Morgen im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union dahin gehend geäußert. Das sei nationale Politik. Deutschland will Schutzmauern errichtet haben, eventuell sogar ausbauen.Wenn man sich die Situation, wie sie sich gerade nach diesem Winter darstellt, anschaut, kommt man zu dem Schluss: Wir brauchen eine Europäisierung; wir brauchen den Wettbewerb in der Energiepolitik, um voranzukommen. Wir brauchen keine nationalen Schutzmauern in diesem Bereich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An anderer Stelle gibt es dann Ihre Rhetorik über Wettbewerbsfähigkeit. Das Einzige, was in Hinsicht auf Wachstum und Beschäftigung für diese Regierung charakteristisch ist, ist doch die Rhetorik und keine realen Taten. Überall, wo Sie die Chance haben, nationale Strukturen zu erhalten, tun Sie das auch. Ich nenne als Stichwort die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Fast alle EU-Mitgliedstaaten, sogar Frankreich, begeben sich auf den Weg, die Grenzen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu öffnen. Es gibt eine Europäisierung dieses Politikbereichs. Nur die deutsche Bundesregierung steht fest dazu, an dieser Stelle Mauern hochzuziehen, und das möglichst bis 2011. Das kann nicht die Zukunft der Europäischen Union sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Markus Löning [FDP])

Ich will noch einen weiteren Punkt nennen, bei dem die Politik widersprüchlich ist, und zwar den Bildungsbereich. Sie haben zu Recht gesagt: Da liegt die Zukunft der Europäischen Union. - Ja. Wir unterstützen Sie bei Ihrem Bemühen, bei den nationalen Zielen im Forschungs- und Bildungsbereich weiterzukommen. Auf der anderen Seite muss man sich vor Augen halten, was Sie im Rahmen der Föderalismusreform machen wollen: Sie übertragen die absolute und alleinige Verantwortung für diesen Bereich den Ländern. Wenn ich das in den letzten 20 Jahren richtig beobachtet habe, dann ist es so, dass die Länder sich bei dem Bereich, für den sie allein zuständig waren, nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben, so auch, als es darum ging, die deutsche Bildungspolitik europaweit wettbewerbsfähig zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dagegen ist doch festzuhalten: Die einzigen Innovationen, die es in den letzten Jahren in der Bildungspolitik gab, sind doch vom Bund angestoßen worden. Sie wollen an dieser Stelle alles wieder zurücknehmen. So werden wir nicht wettbewerbsfähiger; so verschleudern wir die Ressourcen, auch die Bildungsressourcen, die wir in der Zukunft benötigen. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, an dieser Stelle würde ich mir wünschen, dass Sie den Geist, den Fortschritts- und Reformgeist der rot-grünen Koalition, in die große Koalition hineintragen und sich an dieser Stelle nicht ständig von der CDU und der CSU ausbremsen lassen. Der Fortschritt ist manchmal eine Schnecke. Aber wenn man mit Bezug auf das, was Sie in der EU-Politik geleistet haben, davon sprechen wollte, dass der Fortschritt eine Schnecke ist, dann wäre das noch geprahlt. Sie sollten in Zukunft etwas dynamischer werden, und zwar nicht nur in der Rhetorik, sondern auch in den Taten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



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