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Vertrag von Lissabon

24.04.08 Rede im Deutschen Bundestag

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister Kouchner

In dieser Debatte ist sehr deutlich geworden, warum der Vertrag von Lissabon ein großer Fortschritt für die Handlungsfähigkeit Europas ist, ein großer Fortschritt für die Demokratie in Europa, für dieses Friedensprojekt, das wir alle im Deutschen Bundestag unterstützen, auch wenn wir zum Vertrag unterschiedliche Positionen haben.

Jetzt geht es darum, die Aufgaben, die aus diesem Vertrag folgen, ernst zu nehmen. Der Vertrag ist ein das haben wir immer gesagt – wichtiger Schritt zur Vertiefung der Handlungsfähigkeit. Aber mit diesem Vertrag kommt natürlich sehr viel Arbeit auf das Parlament, auf die Regierung und auch auf die Bürgerinnen und Bürger zu; denn es geht darum, wie wir das neu zu gestaltende Verhältnis zwischen den Nationalstaaten, den nationalen Parlamenten und der Europäischen Union konkret ausgestalten wollen.

Ich möchte gerne noch folgende Punkte ansprechen.

Erster Punkt. Für den Deutschen Bundestag – das haben viele Kollegen schon gesagt – ist mit den Subsidiaritätsklagerechten eine neue Möglichkeit eröffnet worden, europäische Politik mitzubestimmen. Wir halten es für richtig und gut, dass neben der Ausweitung der Kontrolle durch das Europäische Parlament auch die nationalen Parlamente Möglichkeiten haben, in stärkerem Maße europäische Politik mitzugestalten. Das schafft eine Verbreiterung der Legitimation und ist eine Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger auf nationaler Ebene in diesem Prozess mitzunehmen.

Aber eines sage ich auch sehr deutlich: Wir müssen uns diese neuen Rechte erarbeiten. In den Strukturen, in denen wir bisher gearbeitet haben – ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, wie wir zum Teil europäische Rechtsetzungsverfahren im Parlament durchgewunken haben –, ist der Deutsche Bundestag noch nicht in der Lage, seine Subsidiaritätsrechte wahrzunehmen. Die heutige Abstimmung ist eine Verpflichtung für uns, diese Rechte im Deutschen Bundestag wahrzunehmen und dafür zu kämpfen, dass entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden können.

Zweiter Punkt. Dieser Bereich ist heute ebenfalls schon angesprochen worden; aber ich möchte ihn noch einmal aufgreifen. Die Frage ist, wie wir im Hinblick auf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in das Projekt Europäische Union, das so erfolgreich war, einen Schritt vorankommen; denn an dieser Stelle besteht durchaus noch Nachholbedarf. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die wir ernst nehmen müssen, ist auf diesem Wege ein zentraler Punkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es geht nicht an, dass man über diesen Punkt locker hinwegwischt. Auf all diese Vorurteile, die gegen das angeblich neoliberale Europa geschürt werden – ich will gar nicht behaupten, dass Sie diese Vorurteile mit Ihrer Politik immer bestärken –, muss man sehr sensibel und sehr politisch reagieren. Das Wegwischen dieser Befürchtung schürt nur Ängste und vergrößert das Misstrauen.

Wir werden das Vertrauen der Menschen nur gewinnen, wenn sie Europa als Schutzmacht ihrer ganz persönlichen Interessen erleben.

Die sozialen Grundrechte – sie sind im Grundrechtekatalog enthalten – müssen der Rat, das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente in die Praxis umsetzen. Ansonsten werden wir eine Haltung der Bürgerinnen und Bürger zu Europa bekommen, wie sich in Frankreich in dem Ergebnis der Volksabstimmung gezeigt hat. Dort wurde der europäische Integrationsgedanke von der rechten und der linken Ecke instrumentalisiert und so Befürchtungen geweckt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, es war in Frankreich eben nicht allein die versammelte Linke, die diesen Vertrag bekämpft hat, sondern es war zum großen Teil die organisierte Rechte und die Rechtsextremen, die diesen Vertrag bekämpft haben. Das muss man deutlich sagen.

Sie reden von Internationalismus. Aber wenn ich mir anschaue, wie zum Beispiel der Internationalismus in Irland gefeiert wird, und wenn ich sehe, dass unter der Führung des „Sozialisten“ Rupert Murdoch eine Volksunion von Le Pen bis Lafontaine Veranstaltungen machen könnte, um den europäischen Integrationsgedanken für rechten und linken Populismus zu instrumentalisieren, dann muss ich sagen: Das ist genau der Internationalismus, der Europa schadet.

Wir sollten die Gesetzgebung der Europäischen Union in Zukunft nicht mehr so darstellen – leider klang das bei dem Kollegen Beckstein auch so an –, als seien Lobbygruppen am Werke. Nein, der Rat, die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament machen die Gesetzgebung. Wir sollten ehrlich und offen mit diesen Fragen umgehen und es nicht zulassen, dass die Europäische Union für einen regionalen Populismus missbraucht wird.

Vielen Dank.

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