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Grüne Forderungen an eine nachhaltige europäische Meerespolitik

"Meerespolitik ist die Politik der Zukunft. Hier liegen unsere Chancen für einen nachhaltigen Meeresschutz sowie für Forschung und Innovation", so Rainder Steenblock auf der Konferenz „Grüne Forderungen an eine nachhaltige europäische Meerespolitik“ am 1. April 2007 im Hamburger Rathaus.

Rainder Steenblock, europapolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und zuständig für Häfen und Schifffahrt, Manuel Sarrazin, europapolitischer Sprecher der grünen Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, und Angelika Beer, sicherheitspolitische Sprecherin der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, hatten eingeladen, um grüne Forderungen an das Grünbuch Meerespolitik der europäischen Kommission und die europäische Meeresstrategie-Richtlinie vorzustellen und mit Gästen aus der europäischen und deutschen Politik, mit Wissenschaftlern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen zu diskutieren. Mit 120 Teilnehmenden war der Kaisersaal des Hamburger Rathauses bis auf den letzten Platz gefüllt.

„Der Meeresschutz muss eine tragende Säule im Grünbuch Meerespolitik werden“, forderte Manuel Sarrazin in seiner Begrüßung. Ein Weg zu einer starken Meeresschutzkomponente seien verpflichtende Regelungen für die Meeresschutzstrategie-Richtlinie, so Dr. Jochen Krause vom Bundesamt für Naturschutz, Referat Meeres- und Küstennaturschutz, auf dem ersten Panel „Positionen zu europäischen Meerespolitik“. „Die Maßnahmen im Grünbuch sind unverbindlich und mangelhaft. Damit werden wir den ‚guten Umweltzustand’ der Meere bis 2018 nicht erreichen.“ Verbindliche Meeresschutzziele, an denen die EU ihre Sektorenpolitiken Fischerei, Landwirtschaft und Verkehr orientieren muss, und mehr Meeresschutzgebiete seien konkrete Vorschläge.

„Das Grünbuch definiert den ‚guten’ Umweltzustand der Meere lediglich als Voraussetzung für die ökonomische Nutzung. Unsere Meere haben aber einen schutzwürdigen Eigenwert, der sich im Grünbuch widerspiegeln muss“, so eine zentrale Forderung der grünen Stellungnahme zum Grünbuch Meerespolitik, die Rainder Steenblock im Entwurf vorstellte. Die grüne Bundestagsfraktion wird ihre Stellungnahme in den Konsultationsprozess der Europäischen Kommission zum Grünbuch „Die künftige Meerespolitik der EU“ einbringen.

„Die Schifffahrt ist die ökologischste Art, Güter zu transportieren. Aber wir müssen den Druck verstärken, um die Dreckschleudern in den Griff zu bekommen. Die EU kann eine Vorreiterrolle bei der Reduzierung von Schiffsemissionen übernehmen, indem sie das Verursacherprinzip einführt, Effizienztechnologien wie Windantriebe fördert und ökologische Steuerungsinstrumente wie die Besteuerung von Schiffen mit hohem Schadstoffausstoß nutzt.“

In der Hafenpolitik ist grüne Position: Nein zur Elbvertiefung, Ja zu einer vernünftigen Arbeitsteilung zwischen den deutschen Seehäfen. Dazu Rainder Steenblock: „Statt teurer Hafenkonkurrenz wollen wir die Hafenkooperation mit Wilhelmshaven.“ Ein europaweites Seehafenkonzept sei dringend notwendig, um eine effiziente arbeitsteilige Hafenkooperation aufzubauen und die Kostenanlastung transparent und vergleichbar zu machen.

„Das Bewusstsein für eine europäische Meerespolitik ist jetzt da. Diese Chance sollten wir nutzen“, forderte Uwe Döring, Berichterstatter für Schleswig-Holstein im Ausschuss der Regionen der EU. Notwendig sei ein ambitionierter Zeitplan, um Maßnahmen bereits ab 2013 umzusetzen, statt wie von der Kommission vorgeschlagen erst ab dem Jahr 2021. Problematisch sei, dass die Meerespolitik nach wie vor nicht in die Kompetenz der EU falle, sondern national geregelt werde. Darüber hinaus müsse eine umfassende europäische Meerespolitik auch die Nicht-EU-Mitglieder Ukraine und Weißrussland einbinden. „Für eine umfassende Meerespolitik brauchen wir nicht weniger EU, sondern im Gegenteil internationale Ansätze über die EU hinaus.“

Die größte Belastung der Meere stellt die Überfischung dar, so Thilo Maack, Meeresbiologe bei Greenpeace Deutschland. Obwohl Wissenschaftler eine Nullquote für Kabeljau aus Nord- und Ostsee empfehlen, haben die für Fischerei zuständigen Minister in der EU die Fangquote für das Jahr 2007 auf 23000 Tonnen heraufgesetzt. Regelungen für den Fischereisektor müssten Bestandteil der Meeresstrategie-Richtlinie werden. „Aber es reicht nicht, gute Regelungen zu treffen“, meint der Meeresschutzexperte. „Wir brauchen eine zentrale Kontrollstelle, um die Umsetzung der Regelungen zu kontrollieren.“ Greenpeace fordert, 40 Prozent der Meere unter Schutz zu stellen. Aktuell sind zwei Prozent der Nordsee Schutzgebiete, bei der Ostsee sind es weniger als ein Prozent.

Wie lassen sich die Maßnahmen nun in konkrete Politik umsetzen? „Es mangelt nicht an der Bereitschaft, unsere Meere zu schützen, es mangelt am Vollzug“, stimmte Dr. Jochen Krause in der anschließenden Diskussion zu. Häufig mangele es auch an Koordination auf EU-Ebene, wie auch in den Mitgliedstaaten. Die Küstenländer müssten besser kooperieren, um ihr Gewicht auf Bundes- und EU-Ebene in die Waagschale zu werfen, so die einhellige Meinung. Der „Kurzstreckenseeverkehr“ („Short Sea Shipping“) wurde als Alternative zum Gütertransport auf Straße und Schiene diskutiert, jedoch müsse die Schwefelkonzentration in Schiffbrennstoffen deutlich verringert werden. In der europäischen Fischereipolitik können neben Regelungen auf EU-Ebene auch die Verbraucher und Verbraucherinnen Einfluss ausüben: sie haben schließlich die Wahl, welche Fische sie kaufen und welche nicht.

Unter der Überschrift „Pilotprojekt Ostseeraum? Meeresschutz regional umsetzen“ diskutierten die Gäste auf dem zweiten Panel regionale Ansätze einer künftigen Meerespolitik. Heike Imhoff, Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit und Leiterin der deutschen HELCOM-Delegation, stellte den „Baltic Sea Action Plan“ vor, den HELCOM im kommenden November verabschieden will. Zentral für eine europäische Meerespolitik sei, dass sie über die Grenzen der Europäischen Union hinausreiche: „Mit HELCOM haben wir ein Gremium, über das wir die Russische Föderation fortlaufend einbinden“, so Heike Imhoff. Der Aktionsplan sieht umfangreiche „maßgeschneiderte“ Maßnahmen für die regional unterschiedlichen Anforderungen an einen nachhaltigen Meeresschutz vor. Er basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, die Maßnahmen sind nicht verpflichtend.

„Die ökologische Situation der Ostsee spiegelt die nicht nachhaltige Lebensweise von 85 Millionen Menschen wider“, stellte Artur Granstedt fest, Dozent an der Swedish University of Agricultural Sciences in Uppsala. Er illustrierte die Belastung speziell der Ostsee durch Jahrzehnte lange Einträge aus der Landwirtschaft. Allein die Stickstoffeinträge machen 22 Prozent der Gesamtbelastung der Ostsee aus. Polen sei für 28 Prozent der landwirtschaftlichen Einträge verantwortlich, Schweden und Finnland verursachen sogar eine vier Mal höhere Belastung der Ostsee.

Angelika Beer machte darauf aufmerksam, dass im Grünbuch Meerespolitik Vorschläge fehlen, wie mit den Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg umgegangen werden soll, die auf dem Meeresgrund von Nord- und Ostsee liegen. „Die Munitionsaltlasten sind eine tickende Zeitbombe. Die Rüstungsaltlasten können alle anderen Maßnahmen des Meeresschutzes, die jetzt im Rahmen der Europäischen Meerespolitik diskutiert werden, torpedieren.“ Explosive Munitionsaltlasten und möglicherweise austretende Giftstoffe seien ein Risiko für Spaziergänger und Taucher. Das Munitionsproblem müsse deshalb in den Grünbuchprozess einbezogen werden. Ebenso kritisierte sie den Hamburger Senat, der auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen geantwortet hatte, dass Hamburg im Gegensatz zu den Aussagen der Behörden in Schleswig-Holstein keine Unfallstatistik führe. „Dieses Hin- und Hergeschiebe von Kompetenzen können wir uns nicht leisten“, so die grüne Europapolitikerin. Anders machen es die dänischen Behörden: sie veröffentlichen ein Register über die Unfälle mit Munitionsaltlasten.

„Die Munitionsaltlasten bergen einen immensen politischen Sprengstoff“, bestätigte Heike Imhoff in der Diskussion. Tatsächlich habe man zu lange die Augen davor verschlossen, wie damit umgegangen werden solle. Problematisch sei häufig die Datenlage. Die dänischen Behörden seien darauf angewiesen, dass sie Informationen über Unfälle mit Munitionsaltlasten aus den Vertragstaaten erhielten. Die fließen häufig jedoch nur spärlich.

Im Gegensatz zu den Munitionsaltlasten sei die Gemeinsame Agrarpolitik der EU regional nicht lösbar. Aber die acht Ostseeanrainer und EU-Mitglieder könnten ihre Anliegen gemeinsam bei der EU vortragen und so den Handlungsdruck erhöhen. Ziel eines neuen Agrarkompromisses für die EU müsse sein, die Einträge aus der Landwirtschaft gerade in die Ostsee zu verringern und den ökologischen Landbau zu fördern. Gefordert seien regional zugeschnittene Ansätze und ein wachsendes öffentliches Bewusstsein für mehr Meeresschutz. Dies sei um so wichtiger, als die EU mit den neuen Mitgliedern Rumänien und Bulgarien an eine neue Meeresregion angrenzt: die Schwarzmeerregion ist nun Nachbarregion der EU.

Der Konsultationsprozess der europäischen Kommission läuft noch bis Ende Juni. Für Oktober hat die Kommission einen Aktionsplan zur europäischen Meerespolitik angekündigt.

Links:

Stellungnahme des Ausschusses der Regionen unter http://www.cor.europa.eu/de/index.htm, Link Stellungnahmen und Entschließungen

Greenpeace-Einkaufsführer unter http://de.einkaufsnetz.org/ratgeber/14380.html

HELCOM, Baltic Sea Action Plan unter http://www.helcom.fi/press_office/news_helcom/en_GB/StakeholderConf_Outcome/

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