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Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Rede deutscher Bundestag

 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat gestern Mittag ihr Programm für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft veröffentlicht. Die vorliegenden Anträge bieten eine gute Gelegenheit, darüber zu diskutieren.

Die bündnisgrüne Fraktion hat diesem Haus einen sehr umfassenden Antrag zur Beratung vorgelegt, der die Anforderungen enthält, die nach unserer Auffassung erfüllt sein müssen, um die EU-Ratspräsidentschaft efolgreich gestalten zu können. Es ist ein bisschen traurig, dass der Zeitplan, den die Regierung gesetzt hat, dazu führt, dass wir in diesem Hause, im deutschen Parlament, in den Ausschüssen und im Plenum, im Grunde nicht genug Zeit haben, um die EU-Ratspräsidentschaft auch von der Seite des Parlaments her vorzubereiten. Das bedauern wir sehr. Wir finden das gerade vor dem Hintergrund der Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung kontraproduktiv, in der man sich darauf verständigt hat, dass man während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Frage klären will, wie man in Europa zu einer besseren Kooperation kommen kann.

Lassen Sie mich zu den Inhalten kommen – es sind vier Punkte –, die für uns wichtig sind:

Der erste, historisch vielleicht wichtigste Punkt ist, dass die Bundesregierung während ihrer Präsidentschaft einen Ausweg aus der Verfassungskrise weisen muss. Wir stehen vor dieser Verantwortung. Es zeichnet sich ab, dass die Bundesregierung den Weg der Geheimdiplomatie beschreitet und der Öffentlichkeit und dem Parlament keine Auseinandersetzung über die Verfassung und über die Möglichkeiten, wie wir aus dieser Krise herauskommen können, anbieten will. Ich will hier sehr deutlich sagen, dass ich das für falsch halte.

 

lEuropa braucht mehr Öffentlichkeit und mehr Transparenz. Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen, müssen wir mit ihnen diskutieren und nicht hinter verschlossenen Türen Lösungen erarbeiten, von denen wir glauben, dass sie gut sind. Wenn wir die Kommunikation mit den Bürgern nicht schaffen, dann wird dieser Weg – genau wie Nizza – scheitern. Deshalb appellieren wir an die Bundesregierung, sich zu öffnen und eine öffentliche und transparente Debatte über die europäische Verfassung in diesem Lande zu führen.

 

Der zweite für uns zentrale Punkt ist, dass Europa vor dem Hintergrund des Klimawandels – er ist unbestritten und wir erhalten jeden Tag dramatische neue Meldungen dazu – dringend eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik braucht. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist gefordert, hier voranzugehen. Wir stellen fest, dass in dem Programm zur EU-Ratspräsidentschaft wichtige Punkte angesprochen sind. Aber es reicht nicht aus, zu den notwendigen, zentralen Punkten zu sagen, dass sie wichtig sind. Wenn man fragt, wie es umgesetzt werden soll, erhält man die Antwort: Das ist wichtig. Wir brauchen konkrete und ambitionierte, aber auch verbindliche Ziele hinsichtlich der erneuerbaren Energien. Wir brauchen innerhalb der EU, wenn sie Vorreiter für den Klimaschutz sein soll – das unterstützen wir alle –, die Verpflichtung, bis 2020 30 Prozent der Treibhausgase einzusparen. Solche zentralen Ziele sind wichtig.

 

Es ist doch absurd, dass der Luftverkehr, der Klimaschädling Nummer eins unter den Verkehrsmitteln, immer noch steuerlich hoch subventioniert wird. Wir brauchen die Einbeziehung des Luftverkehrs in Kioto II, in den Emissionshandel. Auch das ist ein wichtiges energiepolitisches Ziel.

 

Wir brauchen Wettbewerb. Wir alle im deutschen Parlament reden immer von Wettbewerb. Wenn wir uns die Energiemärkte ansehen, erkennen wir, dass wir im Energiebereich keinen Wettbewerb haben. Wer diesen Energiewettbewerb – auch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher – will, der muss die Marktmacht der Monopole begrenzen. Das ist die zentrale Herausforderung in der Wettbewerbspolitik.

 

Abschließend zum Thema Energie: In diesem Jahr bestehen nicht nur die Römischen Verträge seit 50 Jahren, sondern auch Euratom. Dieser 50. Geburtstag wäre eine sinnvolle Möglichkeit, den Euratom-Vertrag endlich zu beerdigen und ihn feierlich aufzulösen.

 

Die Privilegierung von Atomenergie im Rahmen von Euratom – es ist für Länder, die sich von der Atomenergie verabschiedet haben, zwingend, über ihre Beiträge im Rahmen der EU immer noch den Ausbau der Atomenergie zu finanzieren – ist absurd. Wir wollen das beenden. Das ist für die deutsche Bundesregierung sicherlich ein wichtiger Punkt.

 

Der dritte Punkt ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Nach den jüngsten Waffenstillstandsabkommen und Vereinbarungen ist es gerade für Nahost wichtig, dass die deutsche Bundesregierung ihre Verantwortung und die historischen Chancen nutzt, um die Roadmap neu zu beleben. Deshalb glauben wir, dass der Bereich Nahost eine der großen Herausforderungen ist.

Die zweite ist sicherlich die Ostpolitik. Hier brauchen wir eine kohärente Politik. Wir brauchen eine Zentralasienstrategie und auch Verhandlungen mit Russland. Außerdem brauchen wir die Schwarzmeerkooperation. Die Länder von der Ukraine über den südlichen Kaukasus bis Aserbaidschan müssen in das Konzept der drei Räume der neuen Ostpolitik integriert werden. Wir sagen auch: Es geht nicht nur um wirtschaftliche Interessen. Wenn man über diese Regionen spricht und mit ihnen Nachbarschaftsassoziationsabkommen abschließen will, dann stehen für uns Fragen zu Demokratie und Menschenrechten genauso im Vordergrund wie die wirtschaftliche Kooperation.

 

Der vierte Punkt. Wir brauchen angesichts des Flüchtlingsdramas an den Südgrenzen der EU eine verantwortungsvolle europäische Migrations- und Asylpolitik. Dass im Atlantik und im Mittelmeer Hunderte von Menschen beim Versuch, nach Europa zu kommen, ertrinken, kann nicht hingenommen werden. Wir brauchen konkrete Lösungen für dieses Problem. Dafür muss die Bundesregierung Verantwortung übernehmen.

Wir unterstützen die Bundesregierung sehr, wenn es darum geht, konkrete Ziele für die weitere Integration Europas zu erreichen. Aber wir brauchen die Bundesregierung nicht – so stellt es sich hier dar – als zögerlichen Moderator eines Integrationsprozesses, sondern wir brauchen eine kraftvolle Präsidentschaft mit konkreten Zielen. Die Bürgerinnen und Bürger in Europa wollen, dass man ihnen diesen Weg weist. Sie wollen an dieser Diskussion beteiligt werden.

 

Ich komme zu meinem letzten Satz. – Ich glaube, unsere einzige Chance, die Menschen zurückzugewinnen, besteht darin, konkrete Wege aufzeigen und keine allgemeinen Wolkenkuckucksheime zu beschreiben.

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