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50. Jahrestag der Römischen Verträge

50. Jahrestag der Römischen Verträge

Rede im Deutschen Bundestag

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Natürlich sind 50 Jahre europäische Integration gerade für uns Grüne, aber auch für uns alle ein gewichtiger Grund zum Feiern. Heute sind sehr viele Verdienste aufgezählt worden, die dieser europäische Integrationsprozess mit sich gebracht hat. Ich würde gerne zu drei Herausforderungen, vor denen wir stehen, etwas sagen. Denn es reicht nicht aus, an diesem Tage nur die Verdienste der Vergangenheit aufzuzählen.

Wenn wir uns als Politikerinnen und Politiker ernst nehmen, dann müssen wir in dieser Situation Antworten auf die Zukunftsfragen finden, vor denen viele Bürgerinnen und Bürger in Europa zurzeit kritisch bis ängstlich stehen. Wenn 44 Prozent der Menschen in Europa sagen, dass sie durch die Europäische Union keine Vorteile sehen, haben sie damit nicht recht. Aber diese Einstellung der Menschen weist auch auf unsere Fehler hin. Es gibt Vermittlungsprobleme, die wir selbst zu verantworten haben. Das hat auch damit etwas zu tun, dass wir an Tagen wie heute – einige Kollegen haben es bereits gesagt – in Festlaune über Europa reden, aber in den Wahlkreisen es viele Kolleginnen und Kollegen nicht schaffen, den Herausforderungen des Populismus zu widerstehen. Anstatt bei bestimmten Themen die Schuld auf Europa zu schieben und in wirklich übler Polemik die Brüsseler Bürokratie anzu­greifen, müssen wir es schaffen, kohärent europaf­reundlich zu argumentieren. Wenn wir es darüber hi­naus schaffen, billigem Populismus zu widerstehen, dann kommen wir, was die Vermittlung der Überzeu­gung angeht, dass Europa ein Erfolg für die Menschen ist, vielleicht ein Stück weiter voran.

Es wird viel über das Thema Schule diskutiert. Die Jugend in Europa ist viel europafreundlicher und offener, als es den Anschein hat. Wenn wir uns aber einmal anschauen, welche Rolle Europa in den deutschen Lehrplänen spielt – das liegt mehr in der Zuständigkeit der Länder denn des Bundes –, dann muss man sagen: Es ist beschämend, dass in vielen Bundesländern das Thema Europa in den Lehrbüchern der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II überhaupt nicht behandelt wird.

Das können wir uns nicht leisten, wenn wir in Europa zusammenleben wollen.

Zu Recht erwarten die Bürgerinnen und Bürger von Europa weniger Bürokratie, mehr Transparenz und mehr Demokratie. Die Verfassung ist ein Ansatz, diese Erwartungen zu erfüllen.

Die Berliner Erklärung, die das krönende Element dieses 50-jährigen Geburtstages sein soll, entstand durch einen Prozess, der leider nicht transparent war und der kontraproduktiv zu dem ist, was wir den Menschen imRahmen der Verfassungsdebatte eigentlich versprochen haben.

Wenn wir Europa demokratischer und vor allen Dingen transparenter machen wollen, dann brauchen wir öffent­liche Debatten. Die Bundesregierung hat leider die Chance versäumt, eine öffentliche Debatte in Europa über den zukünftigen Weg zu ermöglichen.

Das ist bitter; denn diese Chance hätte es gegeben.

Es geht nicht darum, alle europäischen Parlamente zu einer Redaktionskonferenz einzuladen; das ist nicht das Thema. Aber es geht um die Eckpunkte, über die poli­tisch diskutiert werden muss. Die Bürgerinnen und Bür­ger in Europa haben ein Recht auf Mitgestaltung. Wenn wir ihnen dieses Recht nicht einräumen, dann laufen wir in die Falle von Nizza und damit in die Falle eines hand­lungsunfähigen Europas hinein. Dann wären wir nicht in der Lage, diese Zukunftsfragen positiv zu beantworten. Deshalb bedauere ich diese Entwicklung.

Wenn wir die Auffassung vertreten, dass Europa nur gemeinsam gelingt – Frau Merkel, das ist ein hervorra­gendes Motto –, dann müssen sich die Regierungen und die Parlamente anders verhalten. Wie ich heute Morgen gehört habe, soll die Berliner Erklärung mit den Worten „Wir, die Völker Europas“ beginnen. Dazu sage ich, dass das zynisch ist. Denn es waren die Regierungen Europas und nicht die Völker Europas, die diese Erklärung ver­fasst haben.

Wir müssen einen Prozess starten, an dessen Endpunkt die Menschen in Europa mehr mitwirken können. Unsere Kritik ist, dass die Bundesregierung diese Chance – leider – verpasst hat. Wenn wir Europa attrak­tiver machen wollen, dann sollten wir Demokratie und Transparenz ernst nehmen.

Vielen Dank.

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