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Regierungserklärung zum Europäischen Rat

Rede im Deutschen Bundestag

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wir sind uns in ganz großer Mehrheit einig, dass wir diesen Verfassungsvertrag brauchen, weil die Europäische Union handlungsfähiger, transparenter und demokratischer werden muss. Der Verfassungsvertrag, so wie er vorgelegt wurde, ist dafür eine hervorragende Grundlage.

Ich würde gerne zwei Punkte im Hinblick auf die Verhandlungen ansprechen, die mich sehr skeptisch dahin gehend stimmen, ob wir folgende Frage, die damit verbunden ist, lösen: Gelingt es uns mit diesem Vertrag, das Vertrauen der Menschen in die Problemlösungsfähigkeit der Europäischen Union wiederherzustellen? Es gibt ein Misstrauen ‑ es ist berechtigt, wird aber auch von Gruppen ausgenutzt ‑ in die Fähigkeit der EU, die Globalisierung tatsächlich sozialverträglich, ökologisch und nach vorne gewandt zu gestalten.

Der erste Punkt dabei ist der Umgang mit der Grundrechtecharta. Ich halte das, was im Augenblick passiert, nämlich dass versucht wird, die Grundrechtecharta irgendwo in diesem Vertragswerk zu verstecken, für ein obskures Unterfangen, das das Misstrauen und die Ängste vieler Menschen nur vergrößert.

Wenn dieser Vertrag 2009 in Kraft tritt, haben wir Europawahlen. Wie können wir vor die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger in Europa treten, wenn wir sagen: „Die Grundrechtecharta, eure zentralen Rechte in der Europäischen Union, verschieben wir in irgendeinen Anhang, irgendeinen Annex“? Nein, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gehören Wort für Wort in dieses Vertragswerk. Es ist die Grundlage für das Vertrauen in dieses Erfolgsprojekt, das die Menschen auch brauchen.

Der zweite Punkt ist: Es gibt eine Debatte ‑ sie ist hier noch nicht angesprochen worden ‑ um die Rote Karte der nationalen Parlamente. Die Frage der Subsidiarität in Europa müssen wir sicherlich aus den nationalen Parlamenten heraus bestreiten. Es geht in Europa im Augenblick wirklich nicht darum, neue Blockademöglichkeiten aufzubauen. Es geht darum, Europa handlungsfähiger zu machen. Wir, die nationalen Parlamente, haben die Aufgabe, unsere Regierung bei ihrem Wirken auf europäischer Ebene zu kontrollieren. Wir alle wissen, dass wir im Deutschen Bundestag in der Vergangenheit nicht gerade an der Spitze waren, wenn es darum ging, die notwendige Kontrolle zu leisten. Wir haben diese Aufgabe nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen.

Wir haben uns in den letzten ein, zwei Jahren gemeinsam darum bemüht, die Voraussetzung zu schaffen, damit wir Informationen von der Bundesregierung bekommen können. Im Vergleich zu anderen europäischen Parlamenten sind wir diesbezüglich mittlerweile auch gut aufgestellt. Bevor die nationalen Parlamente aber das Europäische Parlament auffordern, die Bürgerinnen- und Bürgerrechte zu vertreten, sollten sie sich auf diese Aufgabe konzentrieren und Initiativen unternehmen, die von den Regierungen nach Brüssel getragen werden können. Wir dürfen keine neuen Blockademöglichkeiten, die den europäischen Integrationsgedanken noch weiter zurückdrängen würden, in dieses europäische Vertragswerk einbauen. Wir müssen vorankommen.

Wenn wir das Vertrauen der Menschen in die Lösungsfähigkeit der Europäischen Union wiedergewinnen wollen, dann muss die Europäische Union ihrer ökologischen Verantwortung gerecht werden und Vorreiter in Sachen Energie-, Klimaschutz- und Sozialpolitik sein. Wir müssen vorankommen, damit Europa die sozialen Interessen der Menschen tatsächlich schützen kann. Am meisten kritisiere ich an der deutschen Ratspräsidentschaft, dass wir in Fragen der Sozialpolitik nicht vorangekommen sind; null Fortschritte. Die Menschen erwarten aber, dass wir hinsichtlich der sozialen Verantwortung Europas vorankommen. In einem Zusatzprotokoll oder einem ähnlichen Dokument müssen wir die Verantwortung Europas für den Schutz des Klimas stärker betonen. Wir müssen geeignete Regelungen finden, damit die Europäische Union ihrer Verantwortung hinsichtlich der Energiepolitik gerecht werden kann.

Wir müssen klare Zielvorstellungen haben und die Interessen, die die Menschen von der Europäischen Union wahrgenommen wissen wollen, vertreten. Dann hat die Europäische Union eine Zukunft, und zwar nicht nur in der Politik, sondern auch in den Herzen der Menschen, als die politische Organisation, die die Interessen der Menschen wirklich vertritt.

Vielen Dank.



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