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Arbeits- und Legislativprogramm der Europäischen Kommission für 2008

Rede im Deutschen Bundestag

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Es ist eine gute Tradition, dass wir im Deutschen Bundestag über das Arbeitsprogramm der Europäischen Union diskutieren. Ich glaube, es ist wichtig für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, dass sich der Deutsche Bundestag nicht nur mit den Visionen von Europa, mit den großen strategischen Entwürfen, die sich im Reformvertrag widerspiegeln, beschäftigt, sondern dass wir hier im Deutschen Bundestag unsere Verantwortung annehmen, über die ganz konkreten Bausteine der europäischen Politik zu diskutieren, auch um dafür zu sorgen, dass in allen Köpfen, auch in diesem Haus, klarer wird, was die Europäische Union leisten kann, was sie sich vorgenommen hat und was nicht. Das geht auch in die linke Richtung. Solche Veranstaltungen wie heute haben auch etwas mit Bildungsarbeit hier zu tun.

Denn wir wissen genau, dass es wichtig ist, das Thema der konkreten Bausteine in Europa zu transportieren.

Ich glaube – da bin ich mir mit dem Kollegen Ulrich völlig einig –: Wenn wir über das soziale Europa sprechen, das die Menschen – auch in diesem Lande – in allen Umfragen als wichtiges Ziel nennen, dann müssen wir auf einer Grundlage darüber sprechen, durch die Vertrauen geschaffen werden kann. Oftmals wird gesagt, dass dieses Europa schuld daran ist, dass sich die Armut vergrößert. Diese Form der Auseinandersetzung – ich will das nur ganz vorsichtig ausdrücken – ist ganz vielen Politikern zu eigen: Sie verkaufen ihre persönlichen Erfolge in Brüssel als europäische Idee. Wenn sie nach Hause kommen und es nicht funktioniert, dann sind die Brüsseler und alle anderen schuld daran, dass das nicht funktioniert. Dass es in Europa Armut gibt und dass die sozialen Verhältnisse in den Ländern nicht so sind, wie wir wollen, hängt am allerwenigsten mit der EU zusammen, weil sie in diesem Bereich kaum Kompetenzen hat; vielmehr hängt das mit nationaler Politik zusammen.

Lieber Herr Kollege Ulrich, sich hier hinzustellen und Europa die Schuld zuzuschieben, ist nicht nur perfide, sondern es führt die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land auch in die Irre.

Dadurch wird auch nicht die Debatte über die Frage möglich, wie wir die Europäische Union so gestalten können, dass die Erwartungen der Menschen hinsichtlich der sozialen Sicherungssysteme in Europa besser werden. Das werfe ich Ihnen vor: Sie haben keine Perspektive, Sie instrumentalisieren die Ängste der Menschen in Europa für Ihre Parteipolitik. Das ist unverantwortlich.

Es ist richtig: Wir müssen über das soziale Europa reden, und wir müssen schauen, welche Möglichkeiten es gibt, größeres Vertrauen der Menschen zu erwerben. Ein Beispiel will ich sehr deutlich benennen: In 20 Ländern der Europäischen Union gibt es den Mindestlohn. Das ist nicht das Allheilmittel – überhaupt nicht –, aber das ist ein Instrument, um Sicherheit in Bezug auf die sozialen Strukturen zu erreichen. Das gilt auch für den Arbeitsmarkt: Die Wachstumsrhetorik allein reicht bei Weitem nicht aus, die Menschen zu überzeugen, dass die Integration in Europa der Weg ist, den wir gehen müssen.

Deshalb ist es aus meiner Sicht wirklich beschämend, was die deutsche Bundesregierung auf dem wichtigen Feld der europäischen Arbeits- und Sozialpolitik leistet.

Deutschland ist das Land, das die Sicherheit auf europäischer Ebene am meisten behindert. Das, was die Bundesregierung leistet, ist beschämend.

Es gibt in diesem Bereich also viel zu tun.

Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Hinsichtlich des sozialen Europa ist das Arbeitsprogramm der Europäischen Union, über das wir heute hier diskutieren, enttäuschend, weil diese Fragen nicht ausreichend aufgegriffen werden.

Es gibt in dem Arbeitsprogramm aber natürlich auch positive Seiten. Der zweite für uns ganz wichtige Themenbereich ist die Nachhaltigkeit der Klima- und Umweltpolitik. Hier werden auf der europäischen Ebene die richtigen Themen angesprochen. Alle wissen: Wenn wir eine ernsthafte Umweltpolitik und eine Politik in Angriff nehmen wollen, um diesen Planeten vor dem drohenden Klimawandel zu retten, dann müssen wir das supranational tun. Die EU ist einer der ganz wenigen Hoffnungsträger auf dieser Welt dafür, dass eine Klimapolitik betrieben wird, durch die tatsächlich Effekte in die Richtung erzielt werden, die wir wollen.

Deshalb ist es gut, dass die Prioritäten in diesem Bereich richtig gesetzt werden. Wir haben an dieser Stelle weitergehende Vorstellungen als das, was die EU tut. Wir wollen aber, dass das, was auf dem Klimagipfel beschlossen worden ist, konsequent umgesetzt wird. Dafür gibt es im Arbeits- und Legislativprogramm eine Reihe von konkreten Zielsetzungen. Es muss weitergehen.

Wenn das umgesetzt wird, dann bedeutet das, dass die Vorreiterrolle von der Europäischen Union angenommen und von ihr ausgefüllt wird. Es muss an dieser Stelle weitergehen. Es ist ein richtiges Ziel, die Senkung der CO2-Emissionen in den Mittelpunkt zu stellen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ulrich?

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Aber gerne.

Alexander Ulrich (DIE LINKE):

Lieber Rainder, ich kann ja verstehen, dass man das, wenn man an der nationalen Umsetzung der Lissabon-Strategie als Regierungspolitiker beteiligt war und jetzt in der Opposition ist, ein bisschen verfälscht.

Gibst du mir nicht doch recht, dass das ein bisschen – zum Beispiel mit der Lissabon-Strategie; im sozialen Bereich gilt das natürlich für die nationalen Umsetzungsprogramme – europäisch organisiert worden ist? Bist du nicht auch der Auffassung, dass die Geldpolitik der EZB mit dazu beiträgt, dass man zu wenig für Wachstum und Beschäftigung tun kann? Bist du nicht auch der Auffassung, dass es falsch war, bei der EU-Erweiterung gänzlich auf soziale Mindeststandards in den Mitgliedsländern zu verzichten? Bist du angesichts dessen noch immer der Auffassung, dass die Kritik, die du geübt hast, gerechtfertigt ist?

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Kollege Ulrich, in der Kritik an der Lissabon-Strategie sind wir uns in diesem Punkt einig. Ich habe gerade gesagt, dass Wachstumsrhetorik alleine nicht hilft, die ökonomischen und die sozialen Probleme Europas zu bekämpfen. Deshalb haben wir Grüne sowohl in der Regierung als auch in der Opposition gesagt – ich glaube, wir haben hier eine ganz stromlinienförmige Ausrichtung in der Argumentation; das ist immer sehr klar gewesen –: Wachstumspolitik, wie sie dort von einigen betrieben wird, reicht überhaupt nicht aus, um die Herausforderungen der europäischen Integration im Interesse der Menschen zu bewältigen.

Was die EZB angeht, habe ich eine deutlich andere Position. Ich glaube nicht, dass die Achse Sarkozy/ Lafontaine mit der Forderung nach nationalem Protektionismus die europäische Integration auch nur einen Schritt voranbringen kann. Sarkozy und Lafontaine sind in diesem Bereich eine Defensivkonstellation und versuchen nur, nationalen Protektionismus zu organisieren. Das ist falsch.

Lieber Kollege Ulrich, wir sind uns sicherlich einig, dass wir eine soziale Komponente in Europa brauchen. Die Wege dorthin sind aber bei uns deutlich differenzierter und weisen nicht die Eindimensionalität der Sarkozy/ Lafontaine-Politik auf. – Vielen Dank.

Lassen Sie mich zum Schluss einen weiteren Bereich aufgreifen, der in dem angesprochenen Arbeits- und Legislativprogramm eine große Rolle spielt und der für meine Fraktion wichtig ist: die Migration. Sie ist zu Recht ein wichtiger Bestandteil des Programms. Die Kommission plant legislative Vorschläge zur Arbeitsmigration – das wurde schon angesprochen –, aber auch Vorschläge zu einer gemeinsamen Migrationspolitik und Maßnahmen für ein gemeinsames europäisches Asylsystem für 2010. Kollege Ulrich, hier sind unsere Positionen dicht beieinander. Wenn man sich die humanitären Katastrophen in der Mittelmeerregion anschaut, dann weiß man, dass wir handeln müssen; das ist keine Frage. Das bedeutet, dass wir auf europäischer Ebene eine gemeinsame, menschenrechtsorientierte Asyl- und Einwanderungspolitik betreiben müssen.

Es geht also nicht nur um Arbeitsmigration. Vielmehr brauchen wir eine Politik der Europäischen Union auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist für uns ein zentraler Bezugspunkt. Eine solche Politik bedeutet uneingeschränkten und umfassenden Flüchtlingsschutz in der EU. Dazu gehört die Pflicht der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass Schutzbedürftige tatsächlich den Zugang zur Europäischen Union behalten. Das ist ein zentrales Menschenrecht, das ist ein sozial und humanitär wichtiges Recht. Dafür werden wir kämpfen.

Die Themen sind auf der Tagesordnung. Darüber, wie wir alles umsetzen, müssen wir auf nationaler Ebene diskutieren. Aber das gehört dazu.

Vielen Dank.

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