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Eigenmittelsystem der EU

10.04.2008 Rede im Deutschen Bundestag

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich stimme dem Kollegen Dehm an einer Stelle aus­drücklich zu: Die Debatte über einen Anteil von 1 Prozent zur Finanzierung ist eigentlich falsch; denn der Kern einer Debatte über die EU-Finanzen muss immer die Frage beinhalten: Welche Aufgaben wollen diejeni­gen, die in Europa zu entscheiden haben – also EP, Mi­nisterrat und die nationalen Parlamente –, Europa über­tragen?

Das ist die entscheidende Frage. Danach richtet sich die Finanzierung. Europa so zu stricken, dass alle 1 Prozent ihres Haushaltsvolumens geben, ist der falsche Ansatz. Wir müssen vielmehr die übertragenen Aufgaben zum Ausgangspunkt für unsere Überlegungen machen.

Ich bin mit all denen völlig einverstanden, die sagen, dass man darauf achten muss, dass die Finanzierung ge­recht ist und der Wahrnehmung der festgelegten Aufga­ben dient. Niemand darf dabei über den Tisch gezogen werden. Natürlich geht es bei Verhandlungen über Haus­halte zu wie auf einem Basar. Das ist auch im Haushalts­ausschuss des Deutschen Bundestages nicht grundsätz­lich anders. Aber es muss auf der Grundlage von rationalen Kriterien entschieden werden.

Für mich ist der entscheidende Punkt, dass man die rationalen Kriterien in dieser Debatte herausarbeitet. Lieber Herr Kollege Lamp, es geht nicht an, dass man jubelt, wenn es die Bundesregierung beispielsweise ge­schafft hat, 1 Milliarde Euro aus dem EU-Haushalt wie­der in unseren Haushalt zu transferieren. Das ist nicht das richtige Erfolgskriterium. Was wir brauchen, ist eine gerechte Finanzierung. Dazu gehört aber Solidarität. Diether, du weißt auch, wer gesagt hat: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“ Das gilt natürlich auch in Bezug auf die Finanzierung der EU. Wie auf nationaler Ebene gilt auch hier das Grundprinzip: Starke Schultern müssen mehr tragen.

Es ist falsch, es als Sauerei zu beklagen, wenn wir x Milliarden Euro geben, aber nur y Milliarden Euro he­rausbekommen. Wir stehen in der Pflicht, mehr Lasten zu übernehmen. Es wäre doch absurd, wenn jemand, der 1 Million Euro Steuern in Deutschland zahlt, fragt, was er vom Staat eigentlich zurückbekomme; wenn jemand sagt, es sei eine Ungerechtigkeit, dass er nur 10 Euro – oder was auch immer – aus den Transferkassen der Sozialsys­teme zurückbekomme. Ich kann doch nicht am Ende des Jahres schauen, wie viel ich von dem, was ich in die Ge­sundheitskasse einbezahlt habe, wieder herausbekom­men habe. Das ist eine absurde Diskussion. Dieser Popu­lismus erschwert unser Bemühen, dafür zu sorgen, dass die Menschen Europa als Heimat empfinden. Herr Lamp, ich stimme Ihnen ja zu: Wir brauchen die Identifi­zierung der Menschen mit Europa. Wenn wir aber argu­mentieren, Europa kann nicht mit Geld umgehen, des­halb müssen wir das machen, dann machen wir genau das kaputt. Das ist ein Fehler, den wir nicht machen dür­fen.

Wir Grüne wollen diese Finanzdebatte nutzen, um der Europäischen Union ein ökologisches und ein solidari­sches Profil zu geben. Das sind die beiden Herausforde­rungen. Wir haben heute alle geklatscht, als der ehema­lige Justizminister hier die Friedensdividende der EU beschworen hat, was richtig ist. Es gibt aber auch eine ökologische, eine soziale und eine ökonomische Divi­dende der europäischen Integration. Wir glauben, dass wir dies in der Finanzdebatte deutlich machen müssen.

Das heißt für die Einnahmeseite – darin sind wir uns alle einig –: Ein Anteil des Bruttonationaleinkommens muss eine stabile Säule der Finanzierung sein, weil das ökonomisch gerecht ist. Wir wollen aber eine stärkere Steuerung in Richtung ökologischer und sozialer Ge­rechtigkeit erwirken. Das heißt zum Beispiel: Wir haben in der Europäischen Union eine Bemessungsgrundlage für die Energiesteuer, was die Mineralölsteuer betrifft, vereinbart und Mindeststeuersätze. Wenn wir einen Teil davon für den EU-Haushalt abzweigen würden – also keine neue Steuer erheben würden –, könnten wir da­durch die ökologische Orientierung und Lenkung deut­lich machen.

Das Zweite ist: Wir brauchen eine soziale Kompo­nente. Auch das kann man deutlich machen. Es gibt un­terschiedliche Momente. In der Partei der Grünen sind wir uns zum Beispiel darüber einig, dass wir eine harmo­nisierte Unternehmensbesteuerung in Europa brauchen. Daran arbeiten wir. Das brauchen wir. Über dieses Ziel sind wir uns, glaube ich, einig. Ein Teil des Unterneh­mensteueraufkommens könnte an die EU fließen, nach dem Motto: Die Kraftzentren Europas finanzieren die EU mit. Ein anderes Beispiel: Die Börsenumsatzsteuer ist aus meiner Sicht eine sehr vernünftige Sache.

Mit diesem Instrument könnten wir auf der Einnahme­seite soziale Gerechtigkeit in der Europäischen Union herstellen.

Es ist klar, dass wir auch eine Debatte über die Aus­gaben brauchen. Der Agrarhaushalt und die Struktur­fonds sind angesprochen worden. Das System der Ver­teilung von Finanzmitteln zwischen den reichen Staaten über Strukturfonds halte ich für Quatsch. Mithilfe der Strukturfonds müssen Staaten, die keine ausreichende Infrastruktur haben – es geht auch um die soziale Infra­struktur –, konsequent an den EU-Durchschnitt herange­führt werden. Es ist aber absurd, zwischen den reichen Staaten Infrastrukturkosten hin- und herzuschieben. Des­halb brauchen wir an diesen Stellen Reformen; über­haupt keine Frage.

Wenn es uns aber nicht gelingt, das Profil der Europäi­schen Union auch im Finanzbereich in Richtung Zu­kunftsausgaben zu verschieben – Stichworte: Klima, Ökologie und Solidarität im sozialen Bereich –, dann werden wir es nicht erreichen können, dass die Men­schen Europa als Heimat empfinden. Dann werden wir auch die Solidarität in Europa verspielen. Ich glaube, wir brauchen auch in der Finanzdebatte diese Kriterien.

Eine letzte Bemerkung: Ich plädiere sehr dafür, dass wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages unab­hängig von den Mehrheitsverhältnissen darauf bestehen, dass das Parlament, die Volksvertretung der deutschen Bürgerinnen und Bürger, die Richtung der Finanzierung der EU beschließt. Wir sollten das nicht der Regierung überlassen. Es ist parlamentarisches Recht des Deut­schen Bundestages, über diese Finanzen mitzubestim­men.

Vielen Dank.

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