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Regierungserklärung: Europäischer Rat in Brüssel

19.06.2008 Rede Deutscher Bundestag

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was richtig ist und was eine gemeinsame Klammer in diesem Haus sein könnte, ist unser Unbehagen – nicht erst nach dem Referendum in Irland, sondern schon nach den vorangegangenen Referenden – darüber, dass es uns allen nicht gelungen ist, die Menschen in Europa ausreichend zu überzeugen, warum das anstehende Projekt, für das es hier eine große Mehrheit gibt, die einzige mögliche Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung ist; das müssen wir akzeptieren. Das ist der Vorwurf, der in diesem Haus häufig von der Linken gemacht wird. Die Argumente sind zwar falsch, aber der Vorwurf hat einen rationalen Kern. Wir haben die Verpflichtung, uns dem zu stellen. Richtig ist – das ist die populistische Konsequenz dieser Herausforderung –, dass die Menschen kein Vertrauen haben, dass die Europäische Union ihre Schutzmacht bei der Vertretung ihrer sozialen Interessen, der Erzielung notwendiger ökologischer Fortschritte und der Schaffung supranationaler Strukturen ist, die wir brauchen, um auf internationaler Ebene Gewicht zu haben und verhandlungsfähig zu sein. Aber das kann man nicht dadurch gewinnen, dass man jeden Tag den Bürgerinnen und Bürgern Europas die Unfähigkeit der EU vorzugaukeln versucht. Das steht im Gegensatz zur Wirklichkeit.

Das ist die Kernproblematik, die wir in der Öffent­lichkeitsarbeit haben. Meine Damen und Herren von der Linken, hier wende ich mich ganz besonders an Sie. Ich unterstelle niemandem in der Linksfraktion – noch nicht einmal ansatzweise –, dass er gemeinsame Sache mit den Nazis machen will. Ganz im Gegenteil: Hier wissen wir Sie auf unserer Seite. Aber mit Ihrer Argumentation stellen Sie den Verfassungsvertrag als Herrschaftsinstrument – von wem auch immer – dar, mit dessen Hilfe versucht wird, die arbeitenden Menschen in Europa zu knechten und auszubeuten. Sie instrumentalisieren den Vertrag und erreichen damit genau das, was Sie nicht wollen. Objektiv erreichen Sie dadurch eine antieuropäische Stimmungund eine politische Koordination mit Nationalisten, die Sie selber gar nicht wollen. Aber das wird das Ergebnis Ihrer Arbeit sein. Die Verantwortung müssen Sie dann übernehmen; denn Sie wissen, wie Politik funktioniert. Deshalb kritisieren wir massiv, was Sie hier treiben.

Wir Grüne haben das Rüffert-Urteil heftig kritisiert. Die Tendenz in der europäischen Gesetzgebung bzw. ihre Interpretation sind sicherlich kritikwürdig. Wir müssen aber Anstrengungen im Mindestlohnbereich unternehmen und auf nationaler Ebene klarmachen, dass eine solche Interpretation nicht möglich ist. Das ist unsere Verantwortung.

Dass es in Europa zurzeit eine konservative Mehrheit gibt, die eine Politik macht, die ich in vielen Teilen nicht unterstütze, ist eine Tatsache; trotzdem halte ich dieses Integrationsprojekt für richtig und notwendig. Die Europäische Union ist die einzige Struktur zur Kooperation, die wir erreichen können; dieser Vertrag ist der einzige Vertrag, der zurzeit politisch möglich ist. Ich kann also nicht sagen, dass nur deshalb, weil es eine konservative Mehrheit gibt, dieses Projekt falsch ist. Ich muss bei der Europawahl darum kämpfen, dieses Europa fortschrittlicher zu machen, dieses Europa sozialer zu machen und dieses Europa ökologischer zu machen. Dafür müssen die politischen Parteien im Europawahlkampf streiten. Ich kann aber nicht sagen: Die EU ist nur dann klasse, wenn ich selber die Mehrheit habe. – Diese Form von Demokratie haben wir in Europa abgeschafft.

Wir sind die vom Volk gewählten Abgeordneten, wir sind die Vertretung des deutschen Volkes. Wir sollten mit Rückgrat, mit Engagement und mit Herzblut für diesen Vertrag streiten. Es gibt keine Alternative, die verantwortungsvoll wäre.

Vielen Dank.

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