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EU-Übersetzungsstrategie

19.06.2008 Rede Deutscher Bundestag

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Natürlich haben die beiden Europadiskussionen, die wir am heutigen Tage führen – heute Morgen über den Vertrag von Lissabon und jetzt über die Übersetzungsstrategie –, etwas miteinander zu tun. Wir haben heute Morgen sehr deutlich gemacht, dass die Menschen in Europa Schwierigkeiten haben, die EU zu verstehen. Die EU muss verständlich sein, muss sich verständlich ausdrücken, um verstanden zu werden. Sie muss den Willen haben, verständlich zu sein.

Sprache ist das zentrale Medium, ein Schlüssel für Verständigung und für Verständnis. Deshalb stehen wir vor der ganz zentralen Herausforderung, uns als Deutscher Bundestag dafür einzusetzen, dass die EU in all den Sprachen, die in Europa gesprochen werden, die die Menschen gebrauchen, um sich über Europa auszutauschen und zu verständigen, um Europa zu verstehen, kommuniziert. Das ist die Voraussetzung dafür, dass dieses Projekt gelingt, sonst kann sich keiner mit dem, was wir hier machen, identifizieren.

Wenn Europa, was heute Morgen auch gesagt worden ist, nicht nur das Projekt der Eliten, sondern auch das Projekt der Menschen sein will, dann muss es in den Sprachen der Menschen in Europa kommunizieren. Das heißt, diese Übersetzungsstrategie ist die Voraussetzung dafür, dass wir in all den entscheidenden Fragen kommunizieren können. Deshalb haben wir an diesem Antrag gerne mitgearbeitet. Die Opposition, lieber Michael Roth, bedankt sich bei der Regierungskoalition für die Unterstützung bei diesem Antrag.

Wir haben den Charakter gemeinsam so verändert, dass wir nicht nur über die Förderung der deutschen Sprache diskutieren, sondern dass es bei dem Thema Übersetzungsstrategie um ganz Europa geht, das einen deutschen Kern hat. Wichtig ist uns: Es geht uns hier um ganz Europa.

Schauen wir uns die Zielgruppen an, um die es in Europa geht. Viele Kollegen haben auf die parlamentarischen Abläufe hingewiesen: Wenn wir als Bundestag über Entscheidungen diskutieren wollen, die in Europa anstehen, dann muss das auf Deutsch möglich sein und dann muss man sich auf Deutsch dazu äußern können. Dafür sind die Voraussetzungen geschaffen. Wir werfen der EU vor, dass ihr die Sensibilität fehlt, dies als Problem zu erkennen.

Natürlich hat Diether Dehm recht, wenn er sagt, dass Übersetzungskosten Demokratiekosten sind. Wenn Eu-ropa aus so vielen Ländern mit so vielen kulturellen Hintergründen besteht und wir diese kulturelle Vielfalt in den Sonntagsreden immer loben, dann müssen wir bereit sein, für die Kosten, die dadurch entstehen, dass wir viele Kulturen und Sprachen haben, aufzukommen. Wir müssen das ernst nehmen und dafür Steuermittel aufwenden – keine Frage.

Wir müssen neben dem Politikbetrieb, für den das wichtig ist, den Wirtschaftsbetrieb betrachten. Er ist eine zentrale tragende Säule und hat von Europa viel profitiert. Es kann nicht sein, dass jeder Betrieb in Deutschland noch zehn Personen für Übersetzungen einstellen muss. Die Ausschreibungen müssen so gestaltet sein, dass sich jeder Betrieb in Deutschland ohne großen zusätzlichen Aufwand beteiligen kann und andere keine Wettbewerbsvorteile durch sprachliche Diversifizierungen haben.

Das gehört nicht ins europäische Wettbewerbsrecht; durch den Gebrauch von Sprache darf keine Unterschiedlichkeit entstehen. Auch dieser Bereich ist daher wichtig.

Es hat also eine ökonomische Dimension, aber natürlich auch eine bürgerschaftliche Dimension, das heißt die Kommunikation von Menschen untereinander. Dabei geht es zum Beispiel auch um Internetauftritte. Das Internet ist das Medium, durch das man viele Menschen erreicht. Die EU hat Internetauftritte und Beteiligungsverfahren, die aus meiner Sicht vorbildlich sind. Aber wenn sie in einer Sprache stattfinden, die nicht alle Menschen beherrschen, ist das undemokratisch. Das kann nicht sein. Diese Internetauftritte müssen so gestaltet sein, dass sich alle Menschen in Europa an diesem Austausch beteiligen können. Dann werden wir es auch schaffen, dieses gemeinsame Europa zu realisieren.

Lassen Sie mich noch eines sagen, weil hier über die deutsche Sprache und ihre Bedeutung in Europa viel gesagt worden ist. Ich finde, wir sollten uns – das sage ich, weil die Bundesregierung hier ein bisschen angegriffen worden ist – der historischen Wahrheit stellen. Ich will die Bundesregierung nicht groß verteidigen. Aber sie hat sich – das sieht man in den Protokollen von Herrn Duckwitz – in den letzten Monaten sehr intensiv und im Interesse unserer Beschlussfassung dafür eingesetzt. Das ist überhaupt keine Frage. Das bestehende Ungleichgewicht, das in Bezug auf die deutsche Sprache in Europa besteht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU/CSU, ist Folge einer bewussten Entscheidung der Regierung Kohl/Genscher. Sie hatte sich nicht dafür eingesetzt, die deutsche Sprache gleichgewichtig in die EU einzubringen. Das hatte politische Gründe, die man akzeptieren kann oder nicht. Aber es war eine historische Entscheidung der Regierung Kohl/Genscher.

Wenn man die deutsche Sprache fördern will – auch das sei zum Schluss noch einmal gesagt –, dann muss man darauf hinweisen, dass es eine falsche Entscheidung dieser Regierung war – wir haben sie immer wieder kritisiert –, durch die Einschränkung der Freizügigkeit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Polen und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern an Deutschland vorbei nach England und Skandinavien zu lenken und so die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Osteuropa und dem Vereinigten Königreich und Skandinavien drastisch zu fördern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

Dass nun in Osteuropa viele englischsprachige und wenige deutschsprachige Kompetenzen vorhanden sind, hat mit dieser Entscheidung zu tun, die aus meiner Sicht völlig falsch war und nicht im deutschen Interesse lag. Sie hat auch ökonomisch zu verfehlten Entwicklungen geführt.

Politisch kann man vielleicht nachvollziehen, warum die Entscheidung getroffen wurde, aber sie war falsch und hat uns auch bezüglich der Sprachenförderung geschadet.

Vielen Dank.

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