Offene Debatte über Venezuelas Zukunft ist nötig

Im Vorfeld des Referendums über die Verfassungsreform in Venezuela führte Rainder Steenblock, europapolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, in Caracas Gespräche mit Regierungs- und Oppositionsvertretern. Zum knappen Scheitern der Verfassungsreform erklärt er:

Bedenklich stimmte die mit der Verfassungsänderung angestrebte Machtkonzentration in Händen der Staatsführung. Sie hätte in vielen Bereichen dem Präsidenten die absolute Verfügungs- und Ernennungsfreiheit übertragen, seine unbegrenzte Wiederwahl ermöglicht, die Informationsfreiheit bei Ausrufung eines nationalen Notstands ausgehebelt, die Währungspolitik zum Instrument der Regierung werden lassen und der Armee eine politische Funktion zugewiesen. Mit diesen Vorschlägen hatte Chávez selbst die demokratische Legitimität des „bolivarianischen Prozesses“ untergraben. Den vorgezeichneten Weg in einen autoritären Sozialismus haben die VenezolanerInnen abgelehnt.

Bei der geplanten Verfassungsreform ging es um mehr als um die Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Doch auch die basisdemokratischen Ansätze hätten eine Reihe von Gefahren mit sich gebracht. Gerade weil eine widerspruchsfreie Bilanz der Verfassungsänderungen nicht möglich ist, braucht das Land eine offene und öffentliche Debatte über die Vor- und Nachteile der Reform, die bisher in der polarisierten venezolanischen Gesellschaft nicht stattgefunden hat.

Dass auch in den eigenen Reihen die Kritik an Chávez derzeitigem Vorgehen lauter wird, zeigt, dass das eigentliche Problem tiefer liegt: Es betrifft die Art und Weise, wie das Verfassungsprojekt durchgepeitscht wurde. Die Botschaft lautete: Diskussion und Kritik sind unerwünscht. Die Spaltung des Landes hat sich dadurch vertieft.

Jetzt geht es darum, eine ernsthafte und von beiden Seiten getragene Diskussion über die Reformansätze und die Zukunft des Landes zu führen. Die unter Chávez 1999 verabschiedete Verfassung bietet eine, selbst in Oppositionskreisen akzeptierte, Grundlage dafür. Die Einführung eines sozialistischen Gesellschaftssystems kann nicht im Eilverfahren von oben verordnet werden. Ohne Kritik- und Integrationsfähigkeit ist ein erklärtermaßen emanzipatorisches und partizipatorisches Projekt zum Scheitern verurteilt.

Die Verfassungsreform und die aktuelle Situation in Venezuela stehen im Mittelpunkt einer Film- und Diskussionsveranstaltung am 17. Dezember 2007 in Lübeck, zu der ich Sie und Euch recht herzlich einlade!

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