Für eine Zukunft unserer Meere! Für eine Zukunft unserer Ostsee!

Gemeinsame Positionen Grüner Nord- und Ostseeanrainer zur Debatte um eine Europäische Meerespolitik und zum Grünbuch der Europäischen Kommission.

In ihrem Grünbuch „Die künftige Meerespolitik der EU: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere“ vom Juni 2006 formuliert die Europäische Kommission erstmals Ansätze für eine integrierte europäische Meerespolitik. Damit gelingt ihr ein begrüßens- und unterstützenswerter Schritt. Unsere Meere brauchen eine integrierte Strategie, die den Erhalt und die Verbesserung der Meeresumwelt in ihren Fokus stellt.

Unsere europäischen Meere insgesamt, besonders aber unsere Ostsee, sind bereits heute alles andere als gesund. Um sie zu retten, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen und Lösungen. Die Kommission formuliert im Grünbuch die Bedeutung der maritimen Wirtschaft für die Erreichung der Ziele der Lissabon-Strategie für die Europäische Union. Sie lässt jedoch unberücksichtigt, dass sich wirtschaftliche Entwicklung und Natur- und Meeresschutz gegenseitig bedingen. Das Ökosystem Meer verfügt über einen schutzwürdigen Eigenwert und darf nicht als bloße Wirtschaftsressource betrachtet werden. Gerade für den Ostseeraum gilt, dass der ausgesprochen schlechte Umweltzustand der Ostsee bereits heute die wirtschaftliche Nutzung an den Küsten und auf dem Wasser stark beeinträchtigt. Die Tatsache, dass schwangeren Frauen aufgrund der Dioxinbelastung abgeraten werden muss, Ostseefisch zu essen, die Netze der Fischer immer häufiger leer bleiben, selbst streng geschützte Arten wie der Schweinswal in der östlichen Ostsee vom Aussterben bedroht sind, der Tourismus durch weitverbreitete Algenplagen beeinträchtigt wird und die Ostseeküstenbewohnerinnen und -bewohner mit Sorge die steigende Zahl der Tankerverkehre aus Russland durch die Ostsee registrieren, zeigt: gerade für das seichte Binnenmeer Ostsee mit nur geringem Wasseraustausch in den Atlantik muss im Sinne einer europäischen Meerespolitik schnell und entschieden gehandelt werden.

Deswegen haben wir, GRÜNE Politiker aus den norddeutschen Landtagen und aus dem Deutschen Bundestag, eine Reihe von Forderungen an die Landesregierungen, an die Bundesregierung, insbesondere an die Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007, und an die Europäische Kommission zur Rettung der Meere, insbesondere der Nord- und Ostsee, formuliert. Diese beziehen sich einerseits auf all das, was EU, Bund und Länder schon heute zum Schutz der See tun können und andererseits auf all das, was im Grünbuch Meerespolitik verstärkt berücksichtigt werden muss, um Nord- und Ostsee wirklich zu helfen.

Wir fordern die Bundesregierung bzw. die deutsche Ratspräsidentschaft und die Landesregierungen der norddeutschen Küstenländer auf:

  • Sich dafür einzusetzen, dass das Grünbuch Meerespolitik um eine „echte“ Umweltsäule ergänzt wird. Die Meeresstrategie-Richtlinie ist eine gute Grundlage, reicht aber nicht weit genug. Sie ist um konkrete, verbindliche, überprüfbare und klar definierte Meeresschutzziele und -maßnahmen zu ergänzen und mit ambitionierten Zeitplänen und Zwischenzielen zu versehen. Als "Schlüsselelement" des Grünbuchs muss der Meeresschutz einen übergreifenden Ordnungsrahmen für alle EU-Politikbereiche entwickeln. So sollten im Rahmen einer integrierten Meerespolitik insbesondere die Gemeinschaftspolitiken Landwirtschaft, Fischerei und Verkehr an Meeresschutzziele gebunden und entsprechend ausgerichtet werden.
  • zur Stärkung der Meere gegen die Auswirkungen des Klimawandels mindestens 30% der europäischen Meeresflächen als effektiv geführte, kohärente Schutzgebietsnetzwerke einzurichten.
  • Sich vor dem Hintergrund der maßgeblichen Belastung von Nord- und Ostsee durch diffuse Einträge aus der Landwirtschaft und vor dem Hintergrund der Erweiterung der Gemeinsamen Agrarpolitik im Ministerrat, Europäischen Rat und gegenüber der Europäischen Kommission für eine konsequente Umsteuerung der Gemeinsamen Agrarpolitik einzusetzen, die die Auszahlung von Mitteln im Rahmen der GAP auch von der Einschränkungen der diffusen Phosphor- und Nitrit-Belastungen für die Gewässer abhängig macht.
  • Im Rahmen der Verhandlungen über eine Neugestaltung der GAP eine Sonderregelung für die in die Nord- und Ostsee entwässernden Gebiete zu erwirken, die eine stärkere Bindung der EU-Agrarförderung an eine Minimierung der diffusen Nährstoffeinträge erlaubt.
  • Im Rahmen der bereits heute möglichen nationalen Modulationen der EU-Agrarförderung das Höchstmaß der Förderung von ökologischer und extensiver Agrarwirtschaft von 20 Prozent, zumindest in den Bereichen, die im Entwässerungsbereich der Nord- und Ostsee liegen, umzusetzen.
  • Bezüglich der Gefahren, die von den Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee ausgehen, die zentrale Unfallstatistik, die von der Freien und Hansestadt Hamburg seit 1945 geführt wird, offen zu legen und eine möglichst vollständige Erfassung von Unfällen mit Munitionsaltlasten sicherzustellen.
  • Den Konsultationsprozess zum Grünbuch Meerespolitik zu nutzen, um auf die Einbeziehung des Problems der Munitionsaltlasten und die Prüfung wirksamer, umweltgerechter Maßnahmen auf EU-Ebene zur Sicherung bzw. Räumung der Altlasten hinzuwirken.
  • Nach dem Vorbild der verstärkten Zusammenarbeit zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten z.B. im Rahmen des Schengen-Abkommens eine Vereinbarung über eine konsequente Umsteuerung der Agrarwirtschaft der EU-Nord- und Ostseeanrainer in Richtung einer Minimierung der Belastungen für die Nord- und Ostsee mit Hilfe der EU-Agrarförderung und nationalen Politiken zu erwirken.
  • Für die Umsetzung der im Grünbuch Meerespolitik beschriebenen Maßnahmen gemeinsam mit den Anrainern von Nord- und Ostsee regionale Ansätze zu entwickeln bzw. zu verfolgen.
  • Für die Umsetzung der im Grünbuch Meerespolitik beschriebenen Maßnahmen gemeinsam mit den EU-Ostseeanrainern den Ostseeraum als Modellregion zu etablieren und den auf dem ökosystemaren Ansatz basierenden Baltic Sea Action Plan der Helsinki-Konvention als rechtsverbindlichen, regionalen Umsetzungsplan der EU-Meerespolitik zu übernehmen.
  • Ein gemeinsames Verfahren für eine koordinierte Verkehrsanbindung im Nord- und Ostseeraum zu entwickeln und kostenintensiven Fehlplanungen durch eine abgestimmte Koordination der Vorhaben für die transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN) entgegen zu wirken. Für einen nachhaltigen Ausbau des Verkehrsnetzes Umwelt- und Naturschutzbelange stärker zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass die Anstrengungen Schiffsemissionen in europäischen Gewässern zu reduzieren nicht durch das TEN-Vorhaben konterkariert werden.
  • Sich dafür einzusetzen, dass Landanschlüsse zur Stromversorgung von im Hafen liegenden Schiffen baldmöglichst von den Mitgliedstaaten der Ostseeparlamentarierkonferenz als zukunftsfähige und umweltschonende Infrastruktur angeboten werden. Denn noch immer sind Schiffsemissionen eine der Hauptquellen der Luftverschmutzung in Europa. Dazu sind zügig gemeinsame technische Standards in Zusammenarbeit mit der Kommission zu erarbeiten.
  • Ihr Engagement für energiesparende und energieeffiziente Technologien wie alternative Antriebssysteme für die Schifffahrt durch Aufnahme entsprechender Projekte in die Förderbestimmungen des Forschungsrahmenprogramms zu verstärken und gemeinsame Standards für ein ökologisches und effizientes „european clean ship“ festzulegen.

Darüber hinaus fordern wir die Europäische Kommission auf:

  • Das Grünbuch Meerespolitik um eine „echte“ Umweltsäule auf Grundlage der Meeresstrategie-Richtlinie zu ergänzen. Vgl. die erste Forderung an die Bundesregierung bzw. die deutsche Ratspräsidentschaft und die Landesregierungen der norddeutschen Küstenländer.
  • Darauf hinzuwirken, dass mindestens 30% der europäischen Meeresflächen als effektiv geführte, kohärente Schutzgebietsnetzwerke eingerichtet wird. Für eine zügige Umsetzung dieses Flächenziel verbindlich und sektorenübergreifend im Grünbuch bzw. der Meeresstrategie-RL zu verankern.
  • Das Ziel des Schutzes der Meeresumwelt als Zielvorgabe auch für die Gemeinsame Agrarpolitik im Grünbuch zu formulieren. Im vorliegenden Grünbuch findet die Überdüngung der Meere durch Einträge aus der landwirtschaftlichen Produktion nur mangelnde Berücksichtigung. Im Vordergrund stehen immer noch die Einleitungen, längst stellen jedoch Einträge wie Stickstoff durch die Landwirtschaft z.B. in der westlichen Ostsee die größte Belastung dar. Die gemeinsame Agrarpolitik konnte nicht verhindern, dass dieser Sektor inzwischen für den Hauptanteil der Nitrateinträge in die Küstengewässer verantwortlich ist.
  • Für eine kohärente Meeresschutzpolitik, die notwendigen Anpassung der europäischen Umweltrichtlinien, d.h. der Wasserrahmen-, Nitrat- und Kommunalabwasserrichtlinien, an die Anforderungen des Meeresschutzes vorzunehmen. So sollte die Nitrat-RL auf die Küsten- und Meeresgewässer ausgeweitet werden. Entsprechend sollten auch im Meer "gefährdete Gebiete" im Hinblick auf Nitratbelastungen ausgewiesen werden.
  • Das Problem der Rüstungsaltlasten in das Grünbuch zur Europäischen Meerespolitik einzubeziehen und wirksame Maßnahmen zur Sicherung bzw. Räumung der Munitionsaltlasten zu prüfen.
  • Im Rahmen der Ausgestaltung des Entwurfs für die nächste finanzielle Vorausschau (2013-2020) den Zielen des Grünbuchs und der Meeresstrategie durch die Einrichtung eigenständiger EU-Finanzierungsinstrumente, z.B. im Rahmen eines Küstenfonds, Rechnung zu tragen.
  • Eine drastische und dauerhafte Reduzierung der Fischentnahme und der hohen Beifangraten sowie das Verbot zerstörerischer Fischereipraktiken wie der Grundnetzschlepperei durchzusetzen, um die Vernichtung der Fischbestände und der maritimen Biodiversität zu verhindern. Für eine nachhaltige Gemeinsame Fischereipolitik sind großflächig Meeresschutzgebiete auszuweisen. Die Fangquoten müssen eine nachhaltige Entwicklung und eine Erholung der Fischbestände ermöglichen. Dabei ist eine konsequente Umsetzung der wissenschaftlichen Empfehlungen, die Optimierung der Kontrollen und die konsequente Verfolgung und europaweit einheitlichen Bestrafung erforderlich.
  • Angesichts der Überfischung und globaler Meeresverschmutzung die ökologische Aquakultur – die kontrollierte Nachzucht von Fischen und anderen Wassertieren in Farmen –zu fördern.
  • Relevante Sektorenpolitiken wie Landwirtschaft, Fischerei und Verkehr generell an verbindliche Meeresschutzziele zu binden.
  • Kohlendioxidabscheidung und -lagerung im Meer auszuschließen. Eine nachhaltige Meeresschutzpolitik muss sich auf Energieeffizienz und regenerative Energien konzentrieren, denn Meeresschutzpolitik ist Klimaschutzpolitik.
  • Energiesparende und energieeffiziente Technologien durch Aufnahme entsprechender Projekte in die Förderbestimmungen des Forschungsrahmenprogramms zu verstärken und gemeinsame Standards für ein ökologisches und effizientes „european clean ship“ festzulegen.
  • Im Grünbuch konkrete Maßgaben zur Schaffung europäischer überprüfbarer Standards für Motoren, Treibstoffe und andere Sicherheitsbestimmungen für Schiffe und deren Entsorgung mit dem Ziel festzulegen, wirksame Hafenkontrollen nach europaweit einheitlichen Standards durchzuführen. Die europäische Hafenkonkurrenz darf nicht dazu führen, dass sich die Häfen in Vorschriften z.B. bezüglich Sicherheits- und Entsorgungsbestimmungen unterbieten. Schadstofffilter für Schiffsmotoren, wie sie z.B. in Schweden und Norwegen gefordert werden, sollen allgemeiner Standard werden.
  • Die Ausgestaltung und Umsetzung der Ziele und Maßnahmen nicht an die Mitgliedstaaten zu delegieren, sondern gemäß dem integrierten Ansatz in der Verantwortung und unter der Kontrolle der EU zu belassen.

Verabschiedet beim hafenpolitischen Treffen in Hamburg, 7. Februar 2007

Rainder Steenblock MdB, Angelika Beer MdEP, Christian Maaß MdHB, Jens Kerstan MdHB, Manuel Sarrazin MdHB, Hans-Joachim Janssen MdL, Klaus Möhle MdBB, Detlef Matthiessen MdL

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