Rainder Steenblock fordert: „Hamburg sollte in Köpfe, nicht in Kaimauern investieren"

Interview mit dem Sprecher für Häfen und Schifffahrt der grünen Bundestagsfraktion, dem ehemaligen Umweltminister Rainder Steenblock

Von Frauke Heidtmann

Kreis Cuxhaven. Rainder Steenblock, Bundestagsabgeordneter von Bündnis
90/Die Grünen, ist erklärter Gegner der Elbvertiefung. Immer wieder
brachte er durch Anfragen an die Bundesregierung beziehungsweise an den
Bundesverkehrsminister das Thema in Berlin zur Sprache und die
Bundesregierung damit in Erklärungsnot. In dieser Woche besucht
Steenblock auf Einladung der Grünen Cuxhaven. Wir sprachen mit dem
streitbaren Politiker aus Schleswig-Holstein.

Herr Steenblock, mit Ihren Fragen zur Elbvertiefung setzen Sie die
Bundesregierung unter Druck. Glauben Sie, dass Sie so eine Elbvertiefung
verhindern können?


Steenblock: Da ich eine weitere Elbvertiefung aus ökologischen und
ökonomischen Gründen für falsch halte, setze ich alles daran, sie auch
zu verhindern. Ob das gelingt, wird sich zeigen. Zuversichtlich stimmt
mich, dass ein breites Bündnis aus Elbanrainern, Fachleuten und
Politikern die Vertiefungspläne nicht einfach hinnimmt, sondern sich mit
guten Argumenten zur Wehr setzt.

Wie geht die Bundesregierung mit Ihren Fragen um?

Steenblock: Die Ignoranz, mit der die Bundesregierung beharrlich
Informationen verweigert, offensichtliche Entwicklungen an der Elbe
leugnet, aktuelle Daten nicht zur Kenntnis nimmt, angekündigte Vorhaben
wie die erneute Bedarfsprüfung wieder zurückzieht, ärgert mich. Auf
Nachfragen verschanzt sich die Bundesregierung hinter gebetsmühlenartig
wiederholten veralteten Prognosen und verharmlosenden Aussagen, die das
wahre Ausmaß möglicher negativer Folgen verschleiern. Reale Zahlen und
echte Argumente, warum sie die Vertiefung für zwingend nötig hält,
bekomme ich nicht zu hören. Als Rechtfertigung für einen so
folgenschweren Eingriff reicht mir das nicht aus. Mit einer
Selbstverständlichkeit, die an Selbstherrlichkeit grenzt, geht die
Bundesregierung offenbar davon aus, dass die Elbvertiefung nicht zu
beanstanden sein kann und deshalb nicht weiter begründet werden muss.
Ich möchte aber wenigstens verstehen, warum die Elbvertiefung
unausweichlich sein soll. Deshalb werde ich auch zukünftig nachfragen
und Antworten einfordern.

Es gab mehr als 5000 Einwendungen im laufenden
Planfeststellungsverfahren zur geplanten Elbvertiefung. Meinen Sie, dass
man in Hamburg und Berlin das Ruder noch herumreißen kann?


Steenblock: Im Fortgang des Verfahrens wird sich zeigen, ob die
beantragte Fahrrinnenanpassung genehmigungsfähig ist. Nach dem
derzeitigen Wissens- und Planungsstand bezweifle ich das. Die von
Naturschutzbehörden und Umweltverbänden eingereichten Einwendungen
benennen klar und mit drastischen Worten die ökologischen Risiken einer
weiteren Elbvertiefung. Von „entscheidungsrelevanten methodischen
Mängeln“ spricht das Bundesamt für Naturschutz in seiner Stellungnahme
und stellt den vorgelegten Gutachten ein vernichtendes Zeugnis aus:
fehlerhaft, unzureichend, wenig sachgemäß und in vielen Bereichen
überarbeitungsbedürftig. Hier bieten sich Ansatzpunkte, das Vorhaben im
Planfeststellungsverfahren gezielt anzugehen. Die Zeit taktischer
Spielchen ist für die Planer spätestens bei den Erörterungsterminen im
kommenden Frühjahr vorbei. Dann werden sie Rede und Antwort stehen
müssen. Dann wird sich zeigen, was ihre angeblichen Argumente wert sind.

Aber es wird von Unbedenklichkeit gesprochen...

Steenblock: Wenn von Planern und politischen Entscheidungsträgern im
Vorfeld der Eindruck der ökologischen Unbedenklichkeit erweckt wird,
ohne die Ergebnisse des Planfeststellungsverfahrens überhaupt
abzuwarten, finde ich das höchst bedenklich.
Auch die Doppelfunktion der Bundesregierung, die als Mitantragstellerin
der geplanten Ausbaumaßnahmen gleichzeitig über die Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung des Bundes dem eigenen Projekt die Genehmigung
erteilt, finde ich problematisch. Wie soll bei dieser
Interessenverquickung eine objektive, unabhängige Bewertung der
Antragsunterlagen sowie der gegen die Planung eingebrachten Einwendungen
sichergestellt werden?

Die Auswirkungen der letzten Elbvertiefung sind noch nicht abgearbeitet.
Wer kontrolliert das eigentlich?


Steenblock: Mit dem Planfeststellungsbeschluss zur letzten Elbvertiefung
1999 wurde ein Beweissicherungsverfahren angeordnet, um möglicherweise
resultierende, bei der Zulassung aber nicht eindeutig vorhersehbare,
nachteilige Wirkungen festzustellen. Als Umweltminister des Landes
Schleswig-Holstein ist es mir gelungen, die Beweissicherung als
verpflichtenden Bestandteil in den Staatsvertrag über die Elbvertiefung
aufzunehmen. Allgemein akzeptiert wurde damals, die Auswertung der
Untersuchungsergebnisse zur Voraussetzung für weitere Ausbaumaßnahmen zu machen. Die Beweissicherung läuft noch bis 2010, hydrologische Parameter
werden bis 2015 aufgezeichnet. Die Messdaten sind im Internet
www.bs-elbe.de) einschließlich der jährlich fortgeschriebenen Berichte
zugänglich.

Nochmals nachgefragt: Wer kontrolliert das?


Steenblock: Eine wirkliche Kontrolle des Verfahrens gibt es nicht.
Irreversible Eingriffsfolgen können schlecht im Nachhinein rückgängig
gemacht werden. Über die Ergebnisse, deren Interpretation und die
weitere Vorgehensweise „beraten“ Vorhabenträger und beteiligte
Länderbehörden lediglich. Wie schwach dieses
Selbstüberwachungsinstrument ist, zeigt sich allein daran, dass vor dem
Ende der noch laufenden Beweisaufnahme bereits die nächste Vertiefung
des Flusses angegangen wird! Unmittelbar nach dem letzten
Planfeststellungsbeschluss hat Hamburg mit den Planungen für die jetzt
beantragte Vertiefung begonnen. Dieses Vorgehen spottet jedes noch so
medienwirksam geäußerten Verständnisses für die mit einer weiteren
Elbvertiefung verbundenen Sorgen der betroffenen Anwohner.

Sind sieben Jahre für eine Bewertung der Auswirkungen Ihrer Meinung nach
genug?


Steenblock:  Fakt  ist: Sieben Jahre sind für sichere Aussagen über die
Auswirkungen der jüngsten Elbvertiefung ein zu kurzer
Untersuchungszeitraum. Bis zur endgültigen Bewertung der bereits
bestehenden erheblichen Veränderungen muss als Minimalanforderung der
damals festgelegte Zeitraum eingehalten und jeder weitere Eingriff
zurückgestellt werden. Bis heute ist es ja nicht einmal gelungen, die
vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen vollständig umzusetzen. Weitere,
noch viel umfangreichere Baggerarbeiten in Angriff zu nehmen, halte ich
deshalb  für unverantwortlich.

Wem soll die Elbvertiefung nützen?


Steenblock: Hauptnutznießer einer weiteren Elbvertiefung wären einige
der Reedereien, die die größten Containerschiffe in Dienst stellen.
Ihnen könnten infolge vereinzelter Wartezeiten im tideabhängigen
Schiffsverkehr Wettbewerbsnachteile entstehen. Selbst für die größte
Schiffsklasse der Super-Post-Panmax-Klasse mit 8.000 bis über 10.000 TEU
Ladekapazität sind die praktischen Restriktionen jedoch nur marginal:
tatsächlich würde die Elbvertiefung nur für eine handvoll
Containerschiffe monatlich geringfügige Erleichterungen bringen. Diesen
Vorteil für einzelne Reedereien müssten die Steuerzahler mit mindestens
330 Millionen Euro teuer erkaufen. Die Folgekosten für
Unterhaltungsbaggerungen, Hochwasserschutz und Verschlickung der
Nebengewässer nicht mitgerechnet!

Kommt die Elbvertiefung nicht, ist dann der Hamburger Hafen in seiner
Wirtschaftlichkeit gefährdet?


Steenblock: Die Zukunft des Hamburger Hafens ist auch ohne die geplante
Vertiefung gesichert. Denn der weit überwiegende Teil der
Weltcontainerflotte wird auch zukünftig Hamburg anlaufen können. Keines
dieser Schiffe nutzte bisher den Konstruktionstiefgang aus. Das 14,50
Meter tiefgehende Containerschiff, für das die Elbe laut Planunterlagen
ausgebaggert werden soll, passiert den Fluss bereits heute. Von einem
echten Bedarf kann deshalb keine Rede sein. Mondrechnungen kursieren
auch zur angeblichen „Jobmaschine Hafen“ – nach nachvollziehbaren Zahlen
sucht man aber vergeblich. Ich bezweifle, ob sich die Anzahl der durch
die Elbvertiefung entstandenen oder gesicherten Arbeitsplätze angesichts
der immensen Ausbau- und Unterhaltungskosten rechnet.

Was passiert mit dem Fluss, wenn die Ausbaupläne umgesetzt werden?


Steenblock: Was mit dem Fluss nach einem nochmaligen Ausbau passiert,
ist kaum auszumalen. Denn die geplante Elbvertiefung ist eine weitaus
drastischere Maßnahme als alle Fahrrinnenanpassungen zuvor. Neben der
Vertiefung des Flusses wird die Fahrrinne um 100 Meter verbreitert.
Während bei der letzten Elbvertiefung „nur“ an einigen Stellen „Spitzen“
im Flussprofil gekappt wurden, sollen jetzt weiträumige Abschnitte des
Flusses komplett ausgebaggert werden. Die Elbe hat sich durch die
vorangegangenen Vertiefungen bereits grundlegend verändert.
Veränderungen, die man mit bloßem Auge wahrnehmen kann: Wattverluste,
Abspülungen, verstärkte Sedimentation sprechen eine deutliche Sprache
und sind nicht zu leugnende Belege für eine Entwicklung, die nicht mehr
zu kontrollieren ist. Vor diesem Hintergrund sind die erneuten
Ausbaupläne ein unkalkulierbares Risiko für Menschen und Natur.

Die Bundestagsabgeordneten entlang der Unterelbe sind gegen eine weitere
Vertiefung. Wie kann es sein, dass das 330 Millionen Euro-Projekt
trotzdem politisch so forciert wird?


Steenblock: Hinter der politischen Forcierung des Projekts stecken
mächtige wirtschaftliche Interessen, die Druck auf die politischen
Entscheidungsträger ausüben. Die Einflussnahme von Reedern,
Hafenbetreibern, Unternehmens- und Wirtschaftsverbänden vor allem auf
die Hamburger Politik ist sehr hoch. Sobald zielorientiert Panik
geschürt und mit Abwanderung gedroht wird, werden in vorauseilendem
Gehorsam die Wünsche der Wirtschaft erfüllt. Die Frage, welche Rolle der
Hafen im Gesamtkonzept einer zukunftsweisenden Stadtentwicklung spielen
soll, wird in einer Stadt, die den Hafen als „heilige Kuh“ betrachtet,
der alles unterzuordnen ist, sehr einseitig beantwortet. Getreu dem
Motto: Was dem Hafen dient, dient der Stadt. Aber der Ausbau des Hafens
kann die Zukunft der Stadt nicht sichern. Neben dem Hafen als
Umschlagplatz für Güter muss Hamburg zu einem Umschlagplatz für Ideen
werden und in Köpfe statt in Kaimauern investieren.

Könnte die niedersächsische Landesregierung allein die Elbausbaupläne
verhindern?


Steenblock: Als betroffener Anrainer muss Niedersachsen, wie
Schleswig-Holstein auch, den Elbausbauplänen seine Zustimmung erteilen.
Das versetzt die Landesregierung in eine Position, in der sie in den
Verhandlungen mit Hamburg Aufklärung fordern und Bedingungen formulieren
kann. Niedersachsen wird auf jeden Fall darauf drängen, den Bund und das
Land Hamburg als Träger und Hauptprofiteur der Vertiefung finanziell
stärker in die Pflicht zu nehmen, was den Deichschutz, die Entschlickung
der kleinen Häfen und Entschädigungen für betroffene Wirtschaftszweige
angeht. Auch in Niedersachsen gibt es starke Stimmen, die aus
ökonomischen Gründen für eine Elbvertiefung votieren und die
norddeutsche „Solidarität“ nicht aufkündigen möchten. Bemerkenswert ist,
dass inzwischen auch die CDU des Landes sich der Elbvertiefung annimmt
und die Bedenken des (Wahl-)Volkes ernst zu nehmen scheint. Zu hoffen
bleibt, dass dieser Einsatz nicht am Tag der Landtagswahl enden wird.

Ist der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven Ihrer Meinung nach am richtigen
Standort angesiedelt?


Steenblock: Deutschland wird es sich finanziell nicht leisten können,
mehrere Tiefwasserhäfen zu entwickeln. In diesem Sinne war es wichtig
und richtungsweisend, dass sich die Länder Bremen, Hamburg und
Niedersachsen im Jahre 2001 für Wilhelmshaven als deutschen
Tiefwasserhafen entschieden haben. Dass sich Hamburg aus dem
Jade-Weser-Port zurückgezogen hat, ist ein Fehler. Stattdessen werden
für den Ausbau des Hafens innerhalb der Stadt immer größere Flächen und
enorme Summen verbraucht. Es macht wenig Sinn, in Wilhelmshaven einen
neuen Tiefwasserhafen zu bauen und gleichzeitig Außenweser und Unterelbe
mit großem Kostenaufwand zu vertiefen.

Wäre der Standort Cuxhaven nicht sinnvoller?


Steenblock: Cuxhaven hätte gute Voraussetzungen für einen gemeinsamen
Tiefwasserhafen aller norddeutschen Länder mitgebracht: Cuxhaven hat das
tiefe Wasser für den Umschlag und könnte die Lagerhallen und
Verkehrsinfrastruktur Hamburgs nutzen. Die Container können von dort aus
auf kleineren Schiffen nach Hamburg gefeedert werden, große Schiffe
müssten nicht voll beladen nach Hamburg weiterfahren. In der Diskussion
um einen deutschen Tiefwasserhafen haben sich die Grünen deshalb für die
Prüfung des Standorts Cuxhaven ausgesprochen. Letztlich ist Cuxhaven
daran gescheitert, dass es aus Hamburg keine Unterstützung gab. Mit der
Entscheidung der norddeutschen Länder für den Jade-Weser-Port in
Wilhelmshaven hat sich die Alternative Cuxhaven als Tiefwasserhafen
erledigt.

Und welche Entwicklungschancen hat Cuxhaven?

Steenblock: Cuxhaven wird aufgrund seiner optimalen Lage beim
Nord-Ostsee-Kanal seine Rolle als Short-Sea-Hafen weiter ausbauen. Mehr
Kooperation und Arbeitsteilung mit dem Hamburger Hafen ist sicher
wünschenswert. Der Hamburger Senat wäre gut beraten, seine Fixierung auf
die Elbvertiefung aufzugeben, gemeinsam mit Cuxhaven und Brunsbüttel ein
Hafenkonzept für die Metropolregion zu erarbeiten und das eingesparte
Geld in sinnvollere Sachen zu stecken.

Herr Steenblock, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Rainder Steenblock: Ehemaliger Umweltminister engagiert sich gegen die
Elbvertiefung

Rainder Steenblock ist seit der Bundestagswahl 2002 Mitglied des
Deutschen Bundestages und europapolitischer Sprecher der
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der 59-jährige Politiker lebt
im Wahlkreis Pinneberg. Nach dem Abitur studierte Steenblock
Psychologie, Pädagogik und Politikwissenschaft an der Universität
Hamburg. Der Diplom-Psychologe arbeitete als Oberstudienrat an der
Berufsfachschule für Kinderpflege Hamburg. Zunächst war Steenblock von
1970 bis 1976 Mitglied der SPD, 1983 trat er den Grünen bei. Bei der
Bundestagswahl 1994 wurde Steenblock in den Deutschen Bundestag gewählt,
aus dem er aber am 1. Juni 1996 ausschied, um in die rot-grüne
schleswig-holsteinische Landesregierung zu wechseln. Steenblock wurde im
Kabinett von Heide Simonis Minister für Natur, Umwelt und Forsten und
fungierte als Stellvertreter der Ministerpräsidentin. Nach der
Landtagswahl im Jahre 2000 schied er aus dem Landtag aus, 2002 wurde er
in den Bundestag gewählt. Steenblock ist europapolitischer Sprecher
seiner Fraktion, ebenso Sprecher für Häfen und Schifffahrt und der Chef
der Landesgruppe Schleswig-Holstein.


das Interview ist auch unter » www.nez.de zu finden.


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