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Ein Jahr Koalition des Stillstands

Ein Jahr Koalition des Stillstands

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

ein Jahr ist die große Koalition nun alt. Die Erwartungen an die neue Regierung waren hoch - umso größer ist jetzt die Enttäuschung in der Bevölkerung: mehr als drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger sind laut einer Umfrage unzufrieden mit der Arbeit der Regierung ein Jahr nach ihrem Amtsantritt.

 

An demonstrativen Prioritätensetzungen hat es dabei nicht gefehlt. Integrationsgipfel, Islamkonferenz – noch nie hat eine Regierung in so kurzer Zeit so viele als „Gipfel“ inszenierte Großereignisse stattfinden lassen. Die konkrete Politik dahinter sieht jedoch eher dürftig aus. Außer der Erhöhung von Steuern und Abgaben wurde kein großes Reformprojekt vernünftig angepackt.

 

Zwar spült die Konjunkturerholung jetzt Geld in die Kassen, die Chancen des durch die rot-grüne Agenda 2010 ausgelösten Aufschwungs werden aber kläglich verspielt. Die zum 1. Januar 2007 geplante dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung ist wirtschaftspolitisch falsch und wird die wirtschaftliche Erholung abbremsen – zu Lasten des Arbeitsmarktes. Die Gesundheitsreform versinkt inzwischen in einem Bürokratiesumpf: nutzlos, teuer, ungerecht und in vielen Teilen überhaupt nicht realisierbar – das ist das vernichtende Fazit. Bei der Förderalismusreform feiert die Koalition sich selbst für die Neuregelung der Bund-Länder-Beziehungen. Den Preis dafür zahlen die zukünftigen Generationen, denn in der Bildung hat der Bund nun nichts mehr zu sagen: die wichtigste Zukunftsaufgabe, die Bildungspolitik, wurde der Kleinstaaterei geopfert. Ohne genügend Betreuungsplätze wird auch der Anreiz des Prestigeprojektes Elterngeld ins Leere laufen. Den Ankündigungen von kostenlosen Kita-Plätzen fehlt bislang jede finanzielle Basis. Hinzu kommt, dass die Koalition sich mit der Föderalismusreform gerade erst die Rechtsgrundlagen dafür verbaut hat. Bei der Unternehmenssteuerreform bleibt die Gegenfinanzierung nebulös. Die Unternehmen sollen um rund 30 Milliarden Euro entlastet werden, dem steht eine Schließung von Steuerschlupflöchern gegenüber, die auf rund 25 Milliarden veranschlagt wird: bleibt eine Lücke von etwa 5 Milliarden. Gut lachen mit Schwarz-rot haben auch die großen Energiekonzerne. Beim Emissionshandel verschenkt die Regierung großzügig Emissionsrechte an klimaschädliche Kohlekraftwerke, Mittel für die Markteinführung erneuerbarer Energie werden hingegen gekürzt.

 

Rot-grün hatte bei allen Schwierigkeiten doch eine gemeinsame Reformperspektive. Schwarz-rot ist nur Streit und Profilierung auf Kosten des anderen Partners. Die Verantwortung für Unangenehmes schieben beide Partner sich gegenseitig in die Schuhe und wollen mit Erfreulichem für ihre Partei punkten. Es herrscht der kleinste gemeinsame Nenner, heraus kommen faule Kompromisse wie etwa in der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik, deren Verfallsdatum absehbar ist. Frau Merkel ist zwar mit großem Reformeifer gestartet, wird in der Praxis aber immer unfähiger, sich gegen die Konkurrenz und Eitelkeiten der Ministerpräsidenten durchzusetzen. Statt Verantwortung für wichtige politische Entscheidungen zu übernehmen, kochen die Länderchefs der Union ihr eigenes Süppchen, sind auf den eigenen Vorteil bedacht und mindestens drei von ihnen schielen wegen der 2008 anstehenden Landtagswahlen ständig auf Meinungsumfragen. Die Frage stellt sich schon, wer denn eigentlich die Republik regiert – die Kanzlerin oder das Kollegium der Ministerpräsidenten aus CDU und CSU?

 

Zu wenig Mut, zu kleine Schritte, zu wenig Linie, zu wenig Durchsetzungskraft. Hinter Frau Merkel steht auch nach einem Jahr Regierungsarbeit noch immer ein großes Fragezeichen. Was die Kanzlerin eigentlich will, was das Ziel ihrer Politik ist, wird nicht wirklich klar. Ein Jahr nach ihrem Start fällt das Zwischenzeugnis für die große Koalition deshalb leider nur mangelhaft aus.

 

Ihr Rainder Steenblock

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