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„Eine weitere Vertiefung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist unverantwortlich,“ lautete das Fazit von Peter Hölzel, Fraktionsvorsitzender von der Wählergemeinschaft Elmshorn/Die Grünen, nachdem er in Vertretung für den verunglückten Rainder Steenblock am 27. April 2007 drei Stunden lang eine Informationsveranstaltung zur Elbvertiefung im Elmshorner Industriemuseum moderiert hatte. Eingeladen hatte der grüne Bundestagsabgeordnete gemeinsam mit dem Kreisverband Pinneberg von Bündnis 90/Die Grünen. Experten wie betroffene AnwohnerInnen waren sich in ihrer Ablehnung des von Hamburger Senat und Hafenwirtschaft vorangetriebenen Projekts einig. Die Forderung „Erst klären, dann handeln“ zog sich wie ein Leitfaden durch die Diskussionen über die Folgen und Gefahren einer weiteren Ausbaggerung für die Unterelberegion.
„Hamburg pocht auf seine Chancen in der globalen Wirtschaft, die Anrainer haben die Nachteile zu tragen“, umriss Peter Hölzel in seiner Einführung das Dilemma, das bei den AnwohnerInnen hinter den Deichen nicht nur viele Fragen aufwirft, sondern auch Ängste und Misstrauen schürt. „Wir setzen uns mit der Frage auseinander, wie sich Hamburgs Baggerpläne tatsächlich auf Umwelt und Deichsicherheit auswirken und ob die Gefahren so handhabbar sind, wie von den Planungsbehörden behauptet“, erläuterte Hölzel Anliegen und Zielrichtung der Veranstaltung. In zwei Paneln diskutierten Gäste aus Politik und Wissenschaft, Aktivisten und Vertreter von Umwelt- und Deichverbänden über „Bedarf und Alternativen“ sowie über „Gefahren und offene Fragen“ der geplanten Maßnahmen.
Die Grünen kämpfen an mehreren Fronten gegen die Elbvertiefung, erläuterte Valerie Wilms, Sprecherin des Kreisvorstandes Pinneberg von Bündnis 90/Die Grünen, in ihrer Begrüßung. In Berlin laufen Anfragen an die Bundesregierung zur wirtschaftlichen Notwendigkeit der geplanten Maßnahme, mit einem Brief an die Europäische Kommission will Rainder Steenblock klären, ob ein erneuter Eingriff in die Elbe nach EU-Recht überhaupt genehmigungsfähig ist, wenn noch nicht einmal die bestehenden Umweltschäden ausgeglichen sind. Im Kreis Pinneberg reihten sich die Grünen in die elbweite Demo „Fackeln auf dem Deich“ am 18. März ein, setzten am 25. April im Kreistag eine Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung und sammelten bis kurz vor Ende der Einwendungsfrist Unterschriften für ihre Sammeleinwendung gegen die geplante Vertiefung.
Zweifel an der wirtschaftlichen Notwendigkeit
Das von Seiten der Befürworter angeführte „Totschlagargument Arbeitsplätze“ wollte Jens Kerstan, wirtschaftspolitischer Sprecher der GAL-Bürgerschaftsfraktion Hamburg bei einem genaueren Blick auf die Arbeitsplatzentwicklung im Hamburger Hafen nicht gelten lassen: Die Zahl der direkt hafenabhängigen Beschäftigten (Hamburg und Umland) ist nach Angaben der Hamburg Port Authority (HPA) von gut 174.000 im Jahr 1990 auf 145.000 im Jahr 2001 zurückgegangen. Nur 12 Prozent der Hamburger Arbeitsplätze sind damit hafenabhängig. Zu Buche schlägt das Investitionsvolumen zum Ausbau einer entsprechend ausgerichteten Hafeninfrastruktur (insgesamt rund 2,9 Milliarden Euro bis 2015) hingegen mit 40 Prozent der gesamten Hamburger Investitionssumme. Wovon eine Milliarde Euro des kalkulierten Finanzbedarfs noch nicht einmal gedeckt ist. Die Kosten der für 2015 prognostizierten leichten Arbeitsplatzgewinne würden bei ebenfalls nur bescheiden ansteigenden hafenabhängigen Steuereinnahmen den SteuerzahlerInnen angelastet. Statt Standortpolitik im Alleingang plädierte der Volkswirtschaftler für ein abgestimmtes Hafenkonzept und eine strategische Neuausrichtung Hamburgs. Denn selbst eine bis 14,50 Meter tideabhängig befahrbare Fahrrinne werde nur ein – teuer erkaufter – Zwischenschritt sein: Tiefer könne wegen des Elbtunnels definitiv nicht mehr gebaggert werden. Grüne Strategie in der Hafenpolitik ist deshalb: Ein Tiefwasserhafen für die großen Schiffe statt des volkswirtschaftlich unsinnigen Konkurrenzkampfes aller drei norddeutschen Hafenstandorte.
Erfahrungsbericht aus Cuxhaven
Von den heute schon erkennbaren Auswirkungen der vergangenen Elbvertiefungen berichtete Walter Rademacher, Wasserbauingenieur im Ruhestand und Sprecher des regionalen Bündnisses gegen die Elbvertiefung in Cuxhaven. Vor einem halben Jahr haben sich dort betroffene BürgerInnen, darunter in verschiedensten Organisationen aktive Fachleute, zusammengefunden mit dem Ziel, die geplante nächste Elbvertiefung zu verhindern. Gründe dafür gibt es genug: Die erhöhte Fließgeschwindigkeit der Elbe habe zu erhöhten Sedimentierungen in Häfen und Nebenflüssen sowie zu verstärkten Wattabträgen geführt. „Unkontrollierbar“ sei, was im Strom passiere, so Rademacher. Die bis zum 20. April 2007 in 60 Orten der Region öffentlich ausgelegenen Planunterlagen seien von „katastrophaler Qualität“ und unzureichend begründet, kritisierte Rademacher. Die Deichsicherheit beispielsweise habe im bisherigen Verfahren keine Berücksichtigung gefunden. Zudem sprächen keine zwingenden wirtschaftlichen Gründe für eine weitere Vertiefung. Gegen diese „Druckerzeugung ohne Hintergrund“ durch die Planungsbehörden setzen sich die Mitglieder des Bündnisses mit vielfältigen Aktivitäten wie etwa die die Organisation lokaler Informationsveranstaltungen und der genannten Fackeldemo auf dem Deich zur Wehr. 13.000 Protestunterschriften gegen die geplante Vertiefung hat das Bündnis dem niedersächsischen Landtag übergeben. Die Hoffnungen der Mitglieder richten sich nicht zuletzt auf CDU-Ministerpräsident Christian Wulff, der sich vorige Woche mit Verweis auf die Deichsicherheit gegen die Hamburger Planungen gestellt hatte.
In der anschließenden Diskussion wurde durch Beiträge des sachkundigen Publikums untermauert, dass die zur Begründung der Elbvertiefung angeführten wirtschaftlichen Argumente nicht wirklich überzeugen. Schon heute fahren die meisten Schiffe Hamburg nicht voll beladen an, wodurch deren maximale Konstruktionstiefgänge real nicht erreicht würden. Die Tiefgangsstatistik für 2005 weise nur zwei Schiffe mit einem Tiefgang von mehr als 13,50 Meter aus. Eher als Fahrwasserrestriktionen wurden Defizite der landseitig ungenügenden Hafeninfrastruktur als limitierender Faktor ausgemacht, wodurch mögliche Zeitgewinne durch eine Erweiterung des Tidefensters wieder zunichte gemacht würden. Steuermillionen einzusetzen, um das Zeitfenster, in dem die Schiffe den Hafen anlaufen können, etwas weiter als bisher zu öffnen – unter den ZuhörerInnen konnte darin niemand eine enorme Verbesserung der wirtschaftlichen Chancen ausmachen. Wohin die von den Reedern immer wieder angedrohte Abwanderung aus Hamburg letztendlich stattfinden sollte, blieb angesichts der in allen europäischen Häfen inklusive Rotterdam ausgeschöpften Kapazitäten eine offene Frage.
Deichsicherheit nicht mehr gewährleistet
Der zweite Teil der Veranstaltung ging ins Detail und brachte bisher unzureichend geklärte Aspekte in den Bereichen Deichsicherheit, Hafenschlick und Umweltrisiken zur Sprache. Das Kernargument am niedersächsischen Elbufer lautet Deichsicherheit. An exponierter Stelle hat der Hadelner Deich- und Uferbauverband seit der letzten Vertiefung mit akuten Problemen zu kämpfen. Um bis zu einen dreiviertel Meter sind die Deiche dort abgesackt, das Deichvorland ist weggespült, berichtete Günther Hahl, Schultheiß (d.h. Vorstand) des zuständigen Deichbauverbandes aus Otterndorf bei Cuxhaven. Bei Flut stehe die Nordsee nun „volle Lotte“ auf den Deichen. An Gutachten aus Hamburg glaubt Hahl nicht mehr: „Wer bezahlt bekommt, was er haben will.“ Vorgebrachte Bedenken seien nicht in das Verfahren eingeflossen, laut Planunterlagen „keine wesentlichen Auswirkungen“ auf die Sicherheit der Deiche zu erwarten. Die von seinem Verband zum Ende der Einwendungsfrist am 4. Mai 2007 abgefasste Stellungnahme spricht hingegen eine andere Sprache – wenn darin festgestellt wird, dass „ohne erhebliche zusätzliche wasserbauliche Maßnahmen die Deichsicherheit im Bereich Otterndorf nicht mehr gegeben ist.“
Mit Grafiken und Messergebnissen vom besonders betroffenen Deichabschnitt beim Altenbrucher Bogen belegte Torsten Heitsch, Wasserbauingenieur und Geschäftsführer des Deichbauverbandes, eindrucksvoll den bedrohlichen Zustand der Deiche. Verschiedene Profile im Zeitlauf weisen nach, dass das Watt vor Otterndorf seit 1974 um bis zu 450 Metern von der schneller gewordenen Strömung abgetragen wurde. Der Verlust an Watthöhe liegt bei etwa zwei Metern. Eigene Messungen schiffserzeugter Wasserstandsschwankungen im Deich legen einen Zusammenhang zwischen Elbvertiefung und Deichverformungen nahe, während das offizielle Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) keine zusätzlichen Belastungen seit der letzten Vertiefung von 1999 erkennt und für auftretende Schäden allein die Bauweise der Deiche verantwortlich macht.
Massive Probleme wie in Niedersachsen erwartet Hans Hermann Magens, Oberdeichgraf für die Kremper Marsch, für das schleswig-holsteinische Elbufer nicht. Anders als in Niedersachsen zahlt in Schleswig-Holstein das Land, falls ein Deich weggespült wird. Seine größte Sorge gilt der Verschlickung der Häfen und Nebenflüsse. Für die seit der letzten Elbvertiefung steigenden Schlickablagerungen in den Nebenarmen Stör und Krückau gibt es keine Beweissicherung – und damit keine finanzielle Haftung des Bundes für die nötigen Baggerarbeiten. Auf juristischem Wege rechnet sich der Oberdeichgraf keine Klärung der Zuständigkeiten aus und setzt auf Verhandlungen und vertragliche Regelungen mit der Hansestadt. Die aber lässt sich (bewusst?) Zeit: Ein in Hamburg unterschriftsreif vorliegendes Konzept ist seit Monaten in der Versenkung verschwunden. Die Hamburger Interessen lässt Magens dabei durchaus gelten und geht als „Realist“ davon aus, dass die beantragte Vertiefung auch kommen wird. Nur: „Wer die Vorteile hat, muss auch Verantwortung übernehmen und für die Folgekosten aufkommen“, lautet seine Forderung an die Adresse der Hamburger Planer.
Keine Lösung der Hafenschlickproblematik in Sicht
Den Transportwegen feinkörniger Sedimente auf der Spur ist Prof. Dr. Georg Irion vom Forschungsinstitut Senckenberg in Wilhelmshaven. Sein Forschungsbereich ist die Sedimentpetrographie, d.h. der Zweig der Petrographie (Gesteinskunde), der sich mit Zusammensetzung und Aufbau von Sedimentgesteinen und Sedimentablagerungen befasst. Seit den 80er Jahren untersucht der Wissenschaftler Sedimenteinträge aus der Elbe in die Küstengebiete der Nordsee. Das Ergebnis: Wider Erwarten – und anders als 1999 von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) prognostiziert – verdriftete in den letzten Jahren deutlich höher belasteter Schlick nach Norden auf die Watten. Der Hintergrund: Im Sommer 2005 ist die zur Erhaltung der Fahrwassertiefen aus der Elbe gebaggerte Schlickmenge dramatisch angestiegen. Mit Erlaubnis der schleswig-holsteinischen Landesregierung wird ein Teil davon, jährlich ca. 1,5 Millionen Kubikmeter, bei Helgoland verklappt. Die Verklappung ändere die Situation der Nordsee grundsätzlich, da hier zum ersten Mal riesige Mengen an belastetem Sediment an der naturgegebenen „Falle“ des Ästuars vorbei in die Nordsee verbracht werden. Von „Schlicktourismus“ sprach Irion, der keine dauerhafte Lösung biete. Auch die von der Hamburg Port Authority (HPA) propagierte langfristige „Optimierung des Elbeästuars“ durch die Anlage von Unterwasserdeponien (z.B. Verfüllung der Medemrinne und Auffüllung des Neufelder Sandes), in denen die bei der nächsten Vertiefung anfallende Baggergutmenge „fixiert“ wird, fand nicht die Zustimmung des Professors. Seine eindringliche Warnung: Solange nicht geklärt sei, ob die positiven Effekte der geplanten Strombaumaßnahmen wirklich eintreten, „verbietet sich eine weitere Vertiefung der Elbe.“ Diese würde die vorhandene Schlickproblematik verschärfen, konstatierte der Wissenschaftler: „Mit einer Verdoppelung der Schlickmenge im Hamburger Hafen ist zu rechnen.“
Ökologisch unabsehbare Folgen
Die Umverteilung der Baggermengen ist mit gravierenden Folgen für Fauna und Flora in der Elbe verbunden, hieß es im Beitrag von Klaus Schroh, Vorsitzender der BUND-Kreisgruppe Cuxhaven und aktiv im Bündnis gegen die Elbvertiefung, zu den Umweltrisiken des Projekts. Sieben nach EU-Recht besonders geschützte Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebiete, in denen das Verschlechterungsverbot sowohl der FFH-Richtlinie wie auch der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gilt, seien allein in Schleswig-Holstein betroffen. „Die geplanten Ablagerungen im Uferbereich werden zu einer Dauerbeschäftigung für die Baggereifirmen führen“, prognostizierte Schroh. Auch Unterwasserdeponien, die etwa mit der bereits erwähnten Verfüllung der Medemrinne und des Neufelder Sandes entstehen sollen, lehnte der ehemalige Kapitän aufgrund der morphologischen Dynamik des betroffenen Gebietes mit hoher Gezeitenströmung und ständiger Verlagerung der Sände und Nebenfahrwasser ab. Neue Eingriffe würden geplant, obwohl das bei der letzten Elbvertiefung verordnete Beweissicherungsverfahren noch bis 2014 läuft – von „Spurenvernichtung am Tatort“ spricht Klaus Schroh.
Die Verlagerung der exponentiell steigenden Baggermassen auf Klappstellen, Unterwasserdeponien und Ufervorspülungen beschäftigte auch die gut 50 ZuhörerInnen in der nachfolgenden Diskussion. Ob und für wie lange diese „Schlickfallen“ funktionieren, konnten auch die anwesenden Ingenieuren nicht erklären. Der Einwand, auch unabhängig von einer Elbvertiefung würde das unter „Tidal-Pumping“ bekannte Phänomen des Sedimenteintrags aus der Nordsee mit dem Anstieg des Meeresspiegels ein neues planerisches Konzept für die Tideelbe erfordern, überzeugte das Publikum nicht. Die „Beschleunigung dieses Effektes durch Menschhand“ löse Ängste aus, die in der „gefühlsmäßigen Erkenntnis“ wurzeln, dass die „Elbe aus dem Ruder gelaufen“ ist, formulierten Otterndorfer BürgerInnen und Mitglieder von Seglervereinigungen ihre Beobachtungen.
Die Debatte zeigte, dass die geplante Vertiefung des Flusses auf Schleswig-Holsteiner Seite aufgrund unterschiedlicher Betroffenheit und anderer Zuständigkeiten längst nicht so hohen Wellenschlag verursacht wie in Niedersachsen. Klar wurde auch, dass Ängste und Misstrauen der Menschen hinter den Deichen einen Umfang erreicht haben, der es Hamburg verbieten sollte, seine Interessen ohne überzeugende Begründung und ohne Beteiligung der Betroffenen durchzudrücken. Mit einer Fülle an Fakten und Einschätzungen konnte die Informationsveranstaltung zumindest einen Beitrag zur geforderten Aufklärung der Bevölkerung leisten.