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23. Oktober 2006
„Wenn wir unsere Meere konsequent schützen wollen, brauchen wir einen Ansatz, der in alle Dimensionen reicht, von der maritimen Wirtschaft über Schiffssicherheit bis zum Tourismus.“ – in der Forderung nach einem umfassenden und nachhaltigen Ansatz zum Schutz der Meere waren sich die Teilnehmenden des Fachgesprächs Meerespolitik einig. Unter der Überschrift „Grüne Vorschläge für einen ambitionierten Meeresschutz“ haben wir mit Vertretern der EU-Kommission, Fachleuten von Greenpeace, der Grünen im EU-Parlament, mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, Sachverständigen und Gästen am 23. Oktober im Berliner Paul-Löbe-Haus diskutiert.
Anlass war das „Grünbuch Meerespolitik“, das die Kommission der Europäischen Union im Juni dieses Jahres vorgelegt hat. Ziel des Grünbuchs ist es, alle Nutzungsinteressen der Meere – Seeverkehr, Industrieentwicklung, Tourismus, Energie, Fischerei, Forschung – unter einen Hut zu bringen. Mit der Vorlage des Grünbuchs will die Kommission einen europaweiten Diskussionsprozess über die künftige Meerespolitik der EU anstoßen. Es besteht dringender Handlungsbedarf: Die Grenzen der Europäischen Union bestehen zu zwei Dritteln aus Küsten und die Hoheitsgewässer der Mitgliedstaaten sind umfangreicher als ihr kontinentales Hoheitsgebiet, aber eine integrierte Strategie zur Nutzung der Ressource Meer gibt es bisher nicht. Die maritime Wirtschaft boomt, gleichzeitig bedrohen Überfischung, Lärmbelastung, Verschmutzung und Verlust der Biodiversität die europäischen Meere.
Was fehlt im Grünbuch der Kommission?
Sind die Vorschläge der Kommission ausreichend, um den Schutz der Meere zu gewährleisten? Wir Grüne sind skeptisch. Uns kommt der Naturschutz im Grünbuch zu kurz. Es ist eher ein Wirtschaftskonzept, denn ein integrierter Ansatz, der alle Dimensionen, die das Meer betreffen, unter einen Hut bringt. Darum haben wir einen kritischen Blick auf die Vorschläge der Kommission geworfen, die Schwächen des Konzepts diskutiert und versucht, alternative Vorschläge zu, Grünbuch zu erarbeiten. Im Grünbuch geht es um Wachstum und Beschäftigung, auch um Ressourcenerhaltung – nicht vorrangig um Umweltschutz. Ökologisch geschützt werden soll, was sich auch ökonomisch rechnet. Wir wollen dagegen halten und das Grünbuch um eine „Umweltsäule“ ergänzen. Der Entwurf für eine „Europäische Meeresschutz-Strategie-Richtlinie“, der einen integrativen Ansatz verfolgt, kann die richtige Grundlage sein.
Die Änderungsvorschläge der Umweltverbände stellte Saskia Richartz, Marine Policy Director in der Greenpeace European Unit in Brüssel, vor. Die Meeresschutzexpertin forderte ein Meeresrecht für die Europäische Union. Eine weitere Bedrohung ist die Ölverschmutzung durch Einträge von Schiffen und Ölplattformen. Deren Anzahl hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Durch das ausgebaute EU-Transportnetz in der Ostsee haben auch der Schiffsverkehr und damit die Zahl der Öleinträge ins Meer zugenommen. Die zunehmende Nutzung der Meere für Sand- und Kiesabbau führe zu einem Verlust der Biodiversität, mahnte die Meeresschutzexpertin. Eine Gefahr für die Fischbestände geht von Grundschleppnetzen aus, mit denen die Meere regelrecht leer gefischt werden. Gehe die Entwicklung so weiter, könnten die Fischbestände in den Weltmeeren bis zum Jahr 2048 komplett zusammenbrechen. Seien die Weltmeere bis zum Eine Möglichkeit, die Artenvielfalt zu erhalten, sieht Greenpeace darin, 40 Prozent des Meeres als Schutzgebiet auszuweisen – und auch tatsächlich unter Schutz zu stellen.
Haitze Siemers, in der Generaldirektion Fischerei und Maritime Angelegenheiten der Europäischen Kommission zuständig für Meerespolitik, hob die wirtschaftspolitische Bedeutung der Meere hervor. Wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz seien keine Gegensätze. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass 90 Prozent des EU-Außenhandels und 40 Prozent des Binnenhandels über europäische Seehäfen abgewickelt würden, bedeute eine umfassende Meerespolitik auch die Etablierung einer europäischen Seeverkehrspolitik. Da Umweltschutz eine Querschnittsaufgabe sei, die in alle Politikfelder hineinreiche, habe die Kommission auf ein eigenes Kapitel zum Umweltschutz im Grünbuch verzichtet.
Das Maritime Erbe liege in der gemeinsamen Verantwortung der Mitgliedstaaten. Haitze Siemers schlug vor, in eine umfassende integrierte Meerespolitik auch diejenigen 16 Nachbarländer der EU im Mittelmeerraum einzubeziehen, die nicht Mitglieder der EU sind, aber durch das Instrument der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) mit der EU verbunden sind, wie die Mittelmeeranrainer.
Gastgeber Rainder Steenblock brachte den Wirtschaftsfaktor Tourismus ins Spiel. Verschmutzte Meere und Strände ziehen keine Touristen an. Wirtschaftliche Entwicklung in Regionen, die von ihrer attraktiven Meeresumwelt leben, hätten ein essenzielles Interesse daran, diese Meeresumwelt intakt zu halten. Rainder Steenblock mahnte in der Diskussion auch eine Gemeinsame Fischereipolitik für die EU an. Sollten die Fangquoten nicht gesenkt werden, um zu Beispiel die arg dezimierten Fischbestände an Thunfisch und Kabeljau in den überfischten Meeren angepasst werden, sehe er schwarz für die Artenvielfalt in den Meeren. Auch die maritime Wirtschaft hat unter dem Verlust der Artenvielfalt zu leiden. Ohne Fische keine Fischerei, so die einfache Formel.
Michael Earle, Referent für Fischerei und Nachhaltigkeit der Grünen im Europäischen Parlament (EFA – European Free Alliance, Europäische Freie Allianz), kritisierte, die Meere würden im Grünbuch ausschließlich als Ressourcen betrachtet, nicht als schützenswertes Gut. Die Kommission setze einseitig auf Meerespolitik als Motor für mehr Jobs und wirtschaftliche Dynamik– die Umwelt bleibe außen vor. Im Vordergrund stehe, wie sich die Meere Gewinn bringend nutzen lassen, während von der Notwendigkeit, zum Erhalt der Meeresumwelt wirtschaftliche Aktivitäten zu beschneiden oder zu verändern, keine Rede sei. Entsprechend unverbindlich sei auch das im Grünbuch formulierte Ziel, bis zum Jahr 2021 einen „guten Zustand“ der Meeresumwelt zu erreichen. Wie das erreicht werden soll, lässt die Kommission offen.
In der Diskussion kam der Vorschlag auf, das zum effektiven Schutz der Meere vor Verschmutzungen nach Tankerunglücken und durch Einleitungen von Giftstoffen das Verursacherprinzip einzuführen, um die Verantwortlichen nach dem Prinzip „wer verschmutzt, der zahlt“ haftbar zu machen. Als zentrale Forderungen wurden auch verbindliche und überprüfbare Ziele, geknüpft an einen zeitlichen Fahrplan zur Umsetzung, benannt. Ein europäisches Hafenkonzept wäre ein Schritt hin zu einer koordinierten europäische Hafenpolitik. Wenig Unterstützung fand die Absicht der Kommission, es den Mitgliedstaaten zu überlassen, die künftige Meerespolitik der EU umzusetzen.
Dr. Markus Salomon vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) sprach von der Gefahr der „Re-Nationalisierung“ der Meerespolitik, wenn die Umsetzung der Grünbuch-Vorgaben in die Hände der Mitgliedstaaten gelegt werde. Da eine Gemeinsame Fischerei-, Agrar- und Verkehrspolitik ausgeklammert werde, blieben die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten zudem stark eingeschränkt. Die Grundlage für ein Handlungskonzept für eine Europäische Meeresschutzstrategie sei der Entwurf für die Strategie-Richtlinie, nicht das Grünbuch der Kommission.
Einen umfassenderen Umweltschutzbegriff forderte Dr. Jochen Krause, im Bundesamt für Naturschutz zuständig für die Umsetzung der EU-Meeresstrategie. Anspruch müsse sein, Naturschutz und Biodiversität mitzudenken, wenn es darum gehe, eine umfassende Meerespolitik für die Europäische Union zu entwerfen.
Der Konsultationsprozess zum Grünbuch der Kommission läuft noch bis Ende Juni 2006. Mit einer gutachterlichen Stellungnahme werden wir Grüne uns in die Debatte um eine europäische Meerespolitik einmischen.
Termine:
Konferenz zur Europäischen Meerespolitik der grünen Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, Bremen, 5. März 2007
Konferenz zur Europäischen Meerespolitik der GAL-Bürgerschaftsfraktion und des Abgeordnetenbüros Rainder Steenblock, Hamburg, 1. April 2007
Konferenz der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft zur Europäischen Meerespolitik, Bremen, 2./3. Mai 2007
Linkzur Europäischen Kommission, Generaldirektorat Fischerei und Maritime Angelegenheiten:
» ec.europa.eu/maritimeaffairs
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