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Lissabon Vertrag

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestern war ein wichtiger, ein großer Tag für die Demokratie, für die Demokratie in Deutschland und für die Demokratie in Europa. Dieses Ereignis wird uns – da haben alle recht – noch sehr lange beschäftigen: die Menschen, die ihre Hoffnungen auf Europa setzen, und uns, die wir das vermitteln müssen und die in den Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes treten müssen, um Europa dichter an die Menschen zu bringen.

Lieber Kollege Gysi, die Menschen in diesem Lande ärgert immer besonders, dass sich nach Wahlen alle zum Sieger erklären, selbst die Verlierer; auch ich finde das äußerst ärgerlich, selbst wenn es Vertreter meiner Partei machen. Ich meine, es ist für die politische Kultur ausgesprochen wichtig, dass diejenigen, die aus einem Entscheidungsprozess als Verlierer hervorgegangen sind, ihre Niederlage akzeptieren.

In den letzten Monaten hat mich wirklich begeistert, wie die politische Figur John McCain seine Niederlage gegen Barack Obama akzeptiert hat; wie er darauf reagiert hat, war für mich vorbildlich. Die Größe von Politikern und Parteien zeigt sich nicht beim Feiern von Erfolgen, sondern insbesondere in der Niederlage. Was Sie allerdings an den Tag legen, das ist bitter.

Herr Gysi, Sie haben recht – ich bin an dieser Stelle völlig bei Ihnen –: Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für die Demokratie in Deutschland ein großer Erfolg. Das, was Sie mit dieser Klage erreichen wollten, ist aber etwas völlig anderes als das, was das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.

Sie sind jahrelang durch dieses Land gezogen und haben den Vertrag von Lissabon schlechtgeredet.

Das war sozusagen der Kernpunkt Ihrer Klage, also das, worauf Sie hingesteuert haben. Sie sind grandios gescheitert!

All Ihre Kritik am Vertrag ist vom Verfassungsgericht zurückgewiesen worden.

Lieber Kollege Gysi, lassen Sie uns das, was Sie verbockt haben, nicht schönreden.

Zusammen mit dem Kollegen Gauweiler haben Sie uns die Chance gegeben, die Demokratie in Deutschland weiterzuentwickeln. Das ist gut so, und das unterstützen wir. Ihr Tun sollte sich nicht darin erschöpfen, hier den Vertrag von Lissabon zu kritisieren. Wir, der Deutsche Bundestag und damit die Volksvertretung, also die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, sind diejenigen, die durch dieses Urteil neue Kraft bekommen haben. Wir haben neue Kompetenzen bekommen, und – Markus Löning hat darauf hingewiesen – diese Kompetenzen müssen wir auch nutzen. Das ist unsere große Chance.

Daraus ergibt sich eine Reihe von zusätzlichen Fragen, die wir klären müssen. Eine zentrale Frage ist, wie die Verfassungsorgane in dieser Republik zueinander stehen. Eine Antwort, die wir bekommen haben, betrifft das Verhältnis von Bundesregierung und Parlament. Dieses Verhältnis wird sich ändern, und das wird erhebliche Konsequenzen haben.

Ich finde, der Bundesinnenminister hat heute eine schlechte Erklärung abgegeben, als er gesagt hat: Eigentlich wird sich gar nichts ändern; es müssen lediglich einige Änderungen an den Gesetzesformulierungen vorgenommen werden. Das ist falsch: Wenn wir dieses Urteil ernst nehmen, wird sich in diesem Hause viel ändern. Wir alle, die Parlamentarier, werden mehr Verantwortung bekommen. Diese Verantwortung müssen wir annehmen.

Das ist wichtig.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn wir in Zukunft das Verhältnis der Verfassungsorgane untereinander neu gestalten, geht es auch darum, die Rolle des Verfassungsgerichtes neu zu gestalten. Das Urteil des Verfassungsgerichtes enthält auch darauf Hinweise; ich verweise auf bestimmte Fragestellungen bezüglich des Verhältnisses zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH. Dieses Thema wird Sie in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen müssen; ich werde dem Parlament leider nicht mehr angehören.

Ich selber habe mich dazu entschieden; das ist auch gut so.

Gerade was die europapolitischen Fragen angeht, wird es nicht nur eine Herausforderung sein, den Prozess europäischer Gesetzgebung zu begleiten, sondern auch, im Parlament selber entsprechende Arbeitsstrukturen zu entwickeln; das ist nicht einfach. Darüber hinaus wird es Arbeitsstrukturen auf europäischer Ebene – Stichwort „Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten“ – geben müssen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt sehr deutlich, dass die nationalen Staaten den Staatenverbund Europa gestalten. Das ist eine integrationsfreundliche Gestaltung. Das Verfassungsgericht hat noch einmal sehr klar gesagt: Dieses Grundgesetz will – erlaubt also nicht nur – die europäische Integration im Staatenverbund.

Das ist wichtig. Das ist eine ganz deutliche Ansage in Richtung der Nationalisten, von welcher Seite auch immer sie kommen.

Wir wollen als deutsche Bundesrepublik mit dem Grundgesetz die europäische Integration. – Das ist ein sehr wichtiger Satz in dem Urteil.

Deshalb müssen wir die Nationalstaaten in die Lage versetzen, zu kooperieren. Ich will jetzt gar nicht die Debatte um die zweite Kammer noch einmal aufmachen, aber: Wir müssen als Parlamentarier solche Strukturen schaffen, dass wir nicht nur unsere Regierungen kontrollieren, sondern auch diesen europäischen Prozess auf der Ebene der europäischen Parlamente miteinander besser diskutieren können – die COSAC ist dazu nach meiner Kenntnis nicht in der Lage –; das steht an.

Natürlich müssen wir auch mit den Parlamentariern aus dem Europäischen Parlament – Axel Schäfer hat darauf hingewiesen – anders und besser zusammenarbeiten. Ich interpretiere das Urteil nicht als Schwächung der europäischen Parlamentarier, sondern als Stärkung der nationalen Parlamentarier. Auch die europäischen Parlamentarier sind gut beraten, glaube ich, von ihrer Seite aus aktives Engagement in diese Kooperation mit den nationalen Parlamenten zu investieren.

In fast allen europäischen Ländern gibt es zum Teil Unverständnis, Misstrauen in europäische Entscheidungsstrukturen. Als Parlamentarier, als diejenigen, die auf nationaler Ebene vom Volk oder auf europäischer Ebene gewählt worden sind, müssen wir die Verantwortung annehmen, das heißt kooperieren. Es geht nicht an, dass jeder in seinem eigenen Pott oder in seiner eigenen Partei rührt; wir müssen zusammenarbeiten.

Zum Schluss möchte ich gern noch Folgendes ansprechen: Wir werden diesen Prozess nur dann hinbekommen, wenn wir unsere Rolle als Parlamentarier tatsächlich mit mehr Rückgrat spielen, als wir das bisher gemacht haben; das meine ich jetzt nicht als individuellen, persönlichen Vorwurf.

Wir haben in diesem Land eine politische Kultur, die eher auf Parlamentarier-Bashing ausgerichtet ist. Wir arbeiten für das Volk, weil wir vom Volk gewählt sind und die Verantwortung annehmen. Natürlich sind auch wir mit Fehlern behaftet, wie alle. Aber wenn ich an all die Debatten denke, in denen es um die Bezahlung der Politiker, um die Ausstattung der Politiker, um die Reisen der Politiker geht, komme ich zu dem Schluss: Wir müssen sehr selbstbewusst sagen: Wir arbeiten. Wir können die Regierung kontrollieren. Wir können die Entscheidung auf europäischer Ebene mitgestalten; das kommt jetzt dazu. Dahinter stehen muss das Selbstbewusstsein, zu sagen: Wir stehen hier als diejenigen, die gewählt worden sind – mit Rechten und Pflichten. Wenn das in populistischer Manier kleingeredet wird, sollten wir das parteiübergreifend bekämpfen; denn wir sind diejenigen, die das Mandat haben, über dieses Land zu entscheiden.

Vielen Dank.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Steenblock, die Wünsche des gesamten Hauses, denke ich, begleiten Sie in Ihren neuen Lebensabschnitt.

 



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