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Letzte Rede im Deutschen Bundestag

Lissabon Vertrag

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist für den Deutschen Bundestag ein guter Tag heute, weil wir es geschafft haben, lieber Kollege Gysi, trotz Wahlkampf in einer der zentralen Fragen unserer Verfassung, nämlich des Verhältnisses der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesregierung zueinander, und in der Frage, wie wir Europa bauen wollen, eine gemeinsame Position von vier Fraktionen zu finden, und wir diese wichtige Frage nicht benutzt haben, um im Wahlkampf Polemik zu betreiben und Märchen von gestern zu wiederholen.

Es ist ein Zeichen der Stärke unserer Demokratie, dass wir uns in den zentralen Rechten der Parlamentarierinnen und Parlamentarier tatsächlich zusammengefunden haben.

Beim Lissabon-Urteil sehe ich eines aber mit einem weinenden Auge: Ich habe mich zwar sehr darüber gefreut, dass das Verfassungsgericht zu jedem Punkt der Kritik von Ihrer Fraktion, Kollege Gysi, am Lissabon-Vertrag – Militarisierung, Neoliberalismus – gesagt hat:

Das ist Quatsch.

Was die Beschwerdeführer vortragen, ist Unsinn. – Das ist zu all den Punkten, die für Sie relevant waren, sehr deutlich gesagt worden.

Richtig ist allerdings – das hat mit dem Lissabon-Vertrag letztendlich nichts zu tun –: Was das Verfassungsgericht uns als Bundestag aufgegeben hat – das ist so ein bisschen auch ein Tritt vor das Schienbein –, hätten wir selber schon vorher regeln können.

Das ist ein Problem unseres Selbstverständnisses. Deshalb bin ich inhaltlich dicht bei dem Kollegen Röttgen, der gesagt hat: Die zentralen Fragen, die in diesem Urteil angesprochen worden sind, sind die Souveränitätsfragen und die Legitimationsfragen. Europa der Bürgerinnen und Bürger, Europa der Nationalstaaten – beides ist immer mit gedacht worden.

Ich gehöre sicherlich zu einer Generation, die gesagt hat: Der Weg ist sehr eindeutig und führt zu einem Bundesstaat; die Integrationsschritte gehen weiter. – Die Erfahrung, die wir gemacht haben, ist aber, dass wir Europa ambivalenter denken müssen. Wir brauchen beides: Wir brauchen die Nationalstaaten und die europäischen Strukturen.

Deshalb ist die Demokratisierung des Parlaments auf der europäischen Ebene durch den Lissabon-Vertrag ein zentraler Gewinn. Deshalb ist der Lissabon-Vertrag Stärkung der Demokratie. Im Lissabon-Vertrag wird aber auch die Verantwortung der nationalen Parlamente betont.

Beides ist wichtig. Europa wird in dieser Frage nur gemeinsam vorankommen. Das berührt zentral die Frage, wie wir hier im Bundestag mit der Regierung arbeiten. Deshalb ist die zweite Frage die des Verhältnisses von Parlamentariern zur Regierung. Solange ich Politik mache, beobachte ich leider einen schleichenden Prozess hin zur Exekutivdemokratie.

Wir haben den Bundesrat praktisch als Exekutivparlament, aber es gibt eine solche Entwicklung leider auch auf unserer Ebene. Wir als Parlamentarier haben zwar Sternstunden hier im Bundestag, haben uns aber tendenziell auf einen Weg begeben, bei dem die Dominanz der Regierung in vielen Fragen, insbesondere in der Außen und Sicherheitspolitik, anerkannt wird.

Das Urteil ist auch eine Chance, unser Selbstbewusstsein und unsere Identität als Parlamentarier in der Wahrnehmung der uns von den Bürgerinnen und Bürgern übertragenen Rechte zu stärken, und die sollten wir nutzen.

Wir machen in dem Begleitgesetz, das das Zentrum dieser Gesetzgebung darstellt, eine Reihe von Fortschritten. Die Forderung der Grünen war immer, die Zusammenarbeitsvereinbarung in ein Gesetz zu schreiben. Das erreichen wir nun. Alle vier Fraktionen waren sich einig, das umzusetzen.

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, an dem wir weiterkommen müssen, gerade im Interesse des vorhin Gesagten. Die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist in dem Gesetzespaket, sowohl im Integrationsgesetz wie besonders auch im Begleitgesetz, nicht auf ein Level mit den anderen Fachpolitiken gestellt worden. Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben einen Sonderstatus, und das halte ich für falsch.

Deshalb werden wir die Anhörung dazu nutzen, das noch einmal zu thematisieren.

Wenn es nicht gelingt, hier Einvernehmen zu erzielen, werden die Grünen Änderungsanträge stellen. Aber das Projekt insgesamt ist uns wichtig; denn es handelt sich um ein gesamtdemokratisches Projekt.

Wir werden an dieser Stelle nicht nachlassen zu fordern, dass dieses Parlament in der Außen- und Sicherheitspolitik über alles informiert wird, damit wir die uns vom Bürger übertragenen Rechte wahrnehmen können. Dafür stehen wir als Grüne, und dafür kämpfen wir.

Darüber hinaus sind wir für eine Gleichbehandlung von Bundesrat und Bundestag. Der Maastricht-Vertrag hatte eine gewisse Dominanz des Bundesrates zur Folge; denn nach Art. 23 des Grundgesetzes war die Auffassung des Bundestages „zu berücksichtigen“ und die des Bundesrates „maßgeblich zu berücksichtigen“. Im Rahmen dieser Gesetzgebung werden wir uns noch über eine Reihe von Details unterhalten müssen, um eine Gleichstellung des Bundesrates und des Bundestages gegenüber der Bundesregierung, was die Informationsrechte und die Einflussnahme angeht, zu erreichen. Wir haben dafür gekämpft, dass die Stellungnahmen dieses Parlamentes von der Bundesregierung berücksichtigt werden müssen. Aber ich sage, auch als Grüner, sehr deutlich: Wir sind gegen ein imperatives Mandat des Parlamentes; denn das hat mit der politischen Wirklichkeit nichts zu tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

dies ist meine letzte Rede vor diesem Hohen Hause. Wir sollten uns immer vor Augen führen: Der Bundestag ist das Hohe Haus, nicht das Kanzleramt. – Auch nicht das Auswärtige Amt. – Ich möchte mich zum Schluss ganz herzlich bedanken: zunächst bei meiner Fraktion, die es mir ermöglicht hat, an ganz wichtigen Stellschrauben mitzuarbeiten. So konnte ich in den 90er-Jahren die ökologisch-soziale Steuerreform für die Bundestagsfraktion mit entwickeln, die als Gesetz zur ökologischen Steuerreform dann ja auch eine gewisse Dynamik entfaltet hat. Seit sieben Jahren habe ich als europapolitischer Sprecher die Verantwortung für die Europapolitik. Auch das ist ein gerade für uns Grüne wichtiges Politikfeld. Vielen Dank für die Zusammenarbeit in der Fraktion; es hat mir viel Spaß gemacht.

Aber ich habe auch über die Fraktionsgrenzen hinaus in diesem Haus sehr viele Freunde gefunden und sehr viele Kollegen persönlich schätzen gelernt. Ich habe jeden Tag gemerkt, dass das Zerrbild, das die Medien von den Abgeordneten und ihrer Tätigkeit häufig zeichnen, so nicht stimmt. Ich habe hier extrem hart arbeitende Menschen kennengelernt, die sehr solidarisch miteinander umgegangen sind. Sie haben zwar im Parteienkampf gestanden; aber es ist ebenfalls wichtig für uns, dass wir Rückgrat entwickeln und die Zerrbilder von der Arbeit in diesem Hause in der Öffentlichkeit widerlegen. Mir hat die Arbeit hier vielleicht nicht jede Sekunde viel Spaß gemacht, aber im Großen und Ganzen war es für mich eine sehr schöne Erfahrung. Noch einmal allen ganz herzlichen Dank dafür!

Denjenigen, die hierbleiben, wünsche ich eine glückliche Hand und viel Erfolg; denn die Aufgaben in der nächsten Legislaturperiode werden gewaltig sein. Denjenigen, die wie ich dieses Parlament jetzt verlassen, wünsche ich viel Spaß bei der Wahrnehmung aller Aufgaben, die auf sie zukommen. Ich persönlich freue mich darauf. Dennoch werde ich mit einem weinenden Auge gehen, aber auch mit einer guten Erinnerung an diese Zeit.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Lieber Kollege Steenblock, nachdem Sie sich so freundlich für die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen bedankt haben, möchte ich umgekehrt meinerseits Ihnen im Namen des Hauses herzlich für Ihre Arbeit danken und alles Gute für Ihre weitere persönliche Zukunft wünschen.

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