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Auf den Spuren von Politik und Geschichte in Berlin

Was auf der bundespolitischen Bühne passiert, konnte eine Gruppe sozial und ökologisch engagierter Menschen im Alter von 16 bis 79 Jahren auf Einladung des grünen Bundestagsabgeordneten Rainder Steenblock zwei Tage (09./10.04.2008) in Berlin erleben. Die überwiegend jungen TeilnehmerInnen an verschiedenen Freiwilligendiensten aus ganz Schleswig-Holstein erwartete ein spannendes Besuchsprogramm in der Bundeshauptstadt.

Auf der Stadtrundfahrt bekam die Reisegruppe die Schauplätze des parlamentarischen Lebens zu sehen. Was im Berliner Volksmund „Fischerhütte“ und „Waschmaschine“ genannt wird, bezeichnet die Gebäude des Auswärtigen Amtes und des Kanzleramtes. Hoch über der Spree verbindet die „höhere Beamtenlaufbahn“ die Bundestagsbauten, nördlich vom Reichstag legt sich das „Band des Bundes“ wie eine Spange über den Spreebogen. Charakteristisch für die Parlamentsbauten sind die großen Glasfassaden, die freie Blicke auf die Spree (und in die jeweiligen Büros) ermöglichen.

Im Paul-Löbe-Haus, das Abgeordnetenbüros und Sitzungssäle beherbergt, begrüßte Rainder Steenblock seine Gäste, schilderte ihnen seinen politischen Werdegang und erzählte, wie sein Arbeitsalltag während der Sitzungswochen in Berlin zwischen Arbeitsgruppen-, Fraktions- und Plenarsitzungen abläuft, welche Termine abends auf dem Programm stehen und wo sich seine Arbeit außerhalb der Hauptstadt noch überall abspielt. Trotz langer und anstrengender Arbeitstage habe er seinen „Traumberuf“ gefunden, so Steenblock. Über die Wechselwirkungen von Politik und Interessenverbänden quetschte die Gruppe ihren Abgeordneten aus. Dass die angeblich zunehmende Bürokratisierung wenig mit Brüssel, umso mehr aber mit den Nationalstaaten zu tun hat, konnte der Europapolitiker den Gästen erläutern. Ausblicke von oben auf das Regierungsviertel boten sich den BesucherInnen bei einem Gang auf die Glaskuppel des Reichstagsgebäudes, das die Gruppe im Anschluss an das Gespräch durch einen unterirdischen Verbindungsgang erreichte.

Einen Blick hinter die Kulissen eines Ministeriums konnte die Gruppe im Bundesministerium für Arbeit und Soziales werfen. Wie das Ministerium aufgebaut ist, wie viel Geld wofür ausgegeben wird und wie viele Politikfelder die Arbeit des Hauses berührt, erfuhren die TeilnehmerInnen der Bildungsfahrt von einer Sprecherin des Ministeriums. Eine rege Diskussion entwickelte sich über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme und über die Frage, ob die gesetzliche Rentenversicherung bei steigender Zahl der RentnerInnen auch künftig über eine ausreichende Finanzgrundlage verfügen wird. Eine Antwort auf die Frage, ob die Rente auch in 50 Jahren noch „sicher“ sei und konkrete Vorschläge, wie junge Menschen sich heute gegen Altersarmut wappnen können, konnte und wollte die Referentin trotz interessierter Nachfragen nicht anbieten.

Mit dem Besuch im Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung tauchten die BesucherInnen in die grüne Vergangenheit ein. Was hat die Anti-Atombewegung ausgelöst? Wie entwickelte sich aus der Friedensbewegung die grüne Partei und wo ist sie heute im Parteienspektrum zu verorten? Welche Unterlagen von den Schleswig-Holsteiner Grünen sind im Archiv zu finden? All diese Fragen konnten die MitarbeiterInnen des Grünen Gedächtnisses beantworten. Denn das Archiv Grünes Gedächtnis hat die Aufgabe, die Quellen zur Geschichte der Neuen Sozialen Bewegungen und der Partei Bündnis 90/Die Grünen sammeln, zu erschließen, zu bewahren und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anhand von Plakaten, Filmspots und dem Gang in den „Keller“ bekamen die Gäste einen Einblick in die verschiedenen Sammlungsbereiche des Archivs. Und beim Anblick mehrerer Kartons mit Papierdokumenten, die der Erfassung und Aufbereitung harren, eine Ahnung davon, wie Archivarbeit aussieht.

Die Geschichte Berlins wird an vielen Orten lebendig. Deutlich sichtbar bleiben auch die Narben, die die Geschichte verursacht hat. Was die Machtübernahme der Nationalsozialisten für arbeitsfähige Menschen in den besetzten Gebieten bedeutete, wurde auf beklemmende Weise im NS-Dokumentationszentrum Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide deutlich. Ab 1943 wurde dort ein Lager für ausländische Arbeitskräfte gebaut. 1993 wurden die alten Steinbaracken wiederentdeckt, eine Teilfläche des ehemaligen Lagers wurde inzwischen in ein Dokumentationszentrum umgewandelt. Tausende vor allem aus Osteuropa verschleppte Zwangsarbeiter waren an diesem Ort inhaftiert und mussten in den Rüstungsbetrieben der Umgebung schuften. Ein Rundgang in der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ vermittelte den Schleswig-HolsteinerInnen anhand verschiedener Exponate einen Eindruck davon, welche Vielfalt durch die Vernichtung der Berliner Jüdinnen und Juden für immer verloren gegangen ist. Architektonische Fragmente sowie Teile der Inneneinrichtung stehen heute im Mittelpunkt der Ausstellung in den übrig gebliebenen Gebäudeteilen des 1866 eingeweihten und damals größten jüdischen Gotteshauses Deutschlands. Biographien wie die der weltweit ersten Rabbinerin Regina Jonas, die 1902 in Berlin geboren, 1935 als Rabbienerin ordiniert und 1944 in Auschwitz ermordet wurde, berichten von eigenwilligen und mutigen Menschen. Mut bewies auch der Polizeibeamte Wilhelm Krützfeld, der während der landesweiten Pogrome 1938 die Feuerwehr alarmierte, als in der Synagoge Feuer gelegt wurde und der so das Gebäude (vorläufig) vor der Zerstörung bewahrte. Seit 1993 trägt die Fortbildungseinrichtung der Landespolizei Schleswig-Holstein im Gedenken an sein ungewöhnlich mutiges Einschreiten den Namen „Landespolizeischule Wilhelm Krützfeld“.

Zum Foto:
Gruppenfoto in der Reichstagskuppel. Auf dem Foto sind u.a.:
TeilnehmerInnen am FÖJ (freiwilliges ökologisches Jahr), in der Kreisjugendfeuerwehr,im Kreisjungendring Pinneberg und im Freiwilligenforum Uetersen Aktive, MitarbeiterInnen des Kinder- und Jugendzentrums Bönningstedt.



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