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Der Bundestagsabgeordnete spricht über mögliche Koalitionen mit der CDU, den Übervater Joschka Fischer und Jürgen Trittins Rolle als Schwiegersohn
Von Bernd Amsberg und Markus Arndt
EN: Es gibt Leute, die sagen, die Politik in Deutschland werde im Moment bestimmt von der Linken mit Lafontaine, alle anderen seien getrieben: Die SPD laufe hinter den Linken her, die CDU hinter der SPD. Hinter wem laufen denn die Grünen her, oder profitieren die Grünen womöglich von der Situation?
Steenblock: Ob die Grünen davon profitieren, werden die nächsten Wahlen zeigen. Den Grünen geht es jedenfalls nicht wie der SPD. Wir haben deutlich gesagt, dass wir die Verlängerung des Arbeitslosengeld I falsch finden, gerade in der jetzigen Situation, und zu den Hartz-IV-Reformen stehen. Wir sehen an bestimmten Punkten Nachbesserungsbedarf, das war bei so einer Riesenreform aber auch von Anfang an klar, dass man etwas nachsteuern muss.
EN: Wo?
Ältere Arbeitnehmer müssen im Fall der Arbeitslosigkeit viel mehr von ihrem Ersparten behalten dürfen . Auch die Frage der Kinderarmut in Deutschland ist etwas, wo man nachsteuern muss. Aber das Prinzip von Fördern und Fordern bleibt grundsätzlich richtig.
EN: Die Agentur für Arbeit erzielt Überschüsse. Was soll damit geschehen?
Wenn die Agentur für Arbeit Überschüsse hat, sollte man das Geld in Beitragsreduzierung bei der Arbeitslosenversicherung und in die Verbesserung der Arbeitsstruktur der Agentur stecken.
EN: Wenn man Sie so reden hört, dann könnte man fast auf die Idee kommen, dass die Grünen heute die bessere SPD sind.
In bestimmten Bereichen ist das auch richtig, weil die SPD im Augenblick ein Problem mit ihrem Profil hat. Sie muss ihre personelle Problem lösen und das Problem, dass aus ihrem Kernbereich der Wählerschaft, den Gewerkschaften, viele zur Linkspartei gegangen sind. Und das verunsichert natürlich eine Partei wie die SPD ganz anders als uns.
EN: Stichwort Gerechtigkeitslücke. Dieses Gefühl ist ja offenbar da, so nach dem Motto, wir finden das eigentlich ganz gut wenn das ALG I verlängert wird. Spüren Sie das bei ihrer Klientel?
Gerechtigkeit ist auch eine materielle Verteilungsfrage, die ist natürlich wichtig. Aber die hauptsächliche Gerechtigkeitsfrage der Grünen ist die Teilhabe an der Gesellschaft. Das definiert sich über Arbeit, über die Ausschöpfung der eigenen Talente, die Fähigkeit über sein Leben selber zu bestimmen. Da spielt Bildung für uns eine viel größere Rolle.
EN: Das dürfte älteren Arbeitslosen nicht viel helfen.
Gerechtigkeit ist auch, wie es jetzt zum großen Teil durch Hartz IV gelungen ist, viele ältere Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Der ganze Unfug, der von Blüm und anderen gemacht worden ist, mit der vorgezogenen Ruhestandsregelung, das war falsch. Es war falsch, auf die Erfahrung von älteren Arbeitnehmern im Wirtschaftsprozess zu verzichten. Es war aber auch falsch, das alles aus Sozialversicherungskosten oder mit Steuermitteln zu finanzieren. Jetzt profitieren von dem Abbau der Arbeitslosigkeit überproportional Ältere. Das finde ich gerecht. Deshalb halte ich es für absurd, was jetzt aus populistischen Gründen getrieben wird mit der Verlängerung vom Arbeitslosengeld.
EN: Warum hat es eigentlich nach der Bundestagswahl nicht geklappt mit Jamaika-Koalition? Das, was Sie jetzt sagen, könnte auch von der FDP oder der CDU stammen.
Die Grünen sind von ihren WählerInnen her nie eine ideologisch linke Partei gewesen. Wir haben in diesem Bereich natürlich Sympathien gehabt, aber wir sind vom Wählerspektrum her immer eine Partei der gut ausgebildeten Leute aus dem bürgerlichen Lager gewesen.
EN: Themenwechsel: Wieso passieren Dinge wie beim letzten Parteitag der Grünen, wo plötzlich alles aus dem Ruder läuft und hinterher keiner mehr richtig weiß, wieso?
Das wissen wir schon, aber es hilft ja nichts. Wir sind die, die aus der moralischen Legitimation heraus versuchen, Politik zu entwickeln. Das finde ich im Prinzip richtig. Aber zu glauben, dass man deshalb der bessere Mensch ist, ist ein Irrtum. Es gibt es bei den Grünen immer eine Gruppe, die glaubt, dass sie aus dieser moralischen Legitimation der
Politik heraus automatisch eine bessere Politik hat, doch das ist alles falsch.
EN: Haben Sie die Verweigerung zum Afghanistan-Einsatz auch als Versuch der Partei empfunden, sich endgültig vom Übervater Joschka Fischer abzunabeln?
Das war es nicht, glaube ich. Es gab in der Partei immer schon diesen antiautoritären Reflex gegen Fischer und der ist von den Leuten, die inhaltlich etwas anderes wollten, instrumentalisiert worden.
EN: Es ist erstaunlich, dass die Grünen trotz des Weggangs von Fischer in der Wählergunst überhaupt nicht eingebrochen sind. Ist der Anteil von Fischer am Erfolg der Grünen völlig überschätzt worden oder sind die Grünen so weit etabliert, dass Sie den Übervater nicht mehr nötig haben?
Joschka Fischer war natürlich ein hervorragender Wahlkämpfer und hat viele Menschen mobilisiert. Auf der anderen Seite muss man ehrlicherweise sehen, dass es auch Menschen gibt, die uns wegen Joschka Fischer nicht gewählt habe, obwohl, sie eigentlich auch den Grünen nahe sind. Fischer polarisiert, aber er hat auch einen Teil neuer Wählerschichten für die Grünen gewonnen. Auch dadurch sind die Grünen eine ernst zunehmende politische Kraft geworden.
EN: Fischer geht mit seinen Memoiren nicht besonders gut mit den Grünen um. Nach seinen Aussagen hat er häufig unter seiner Partei gelitten. Wie sehr hat denn seine Partei unter ihm gelitten? Er soll ja recht autoritär und arrogant gewesen sein.
Seine Schwächen lagen sicher in der Personalführung und im zwischenmenschlichen Umgang. Aber Leute wie er haben auf der anderen Seite so eine Außenwirkung und so eine Durchsetzungskraft, die müssen nicht unbedingt Gruppentherapeuten sein.
EN: Früher hat man Grün immer gleichgesetzt mit Umweltpolitik und Antiatomkraft. Macht es Ihnen Sorge, dass Frau Merkel und die CDU inzwischen das Feld der Umweltpolitik auch besetzen und das sogar recht erfolgreich?
Nein, überhaupt nicht.
EN: Warum nicht?
Die Grünen liegen bei den Wahlen in einem Bereich zwischen acht 8 und wenn es gut läuft 12 oder 13 Prozent. Diese WählerInnen erreicht Frau Merkel nicht. Frau Merkel wird keinen Wähle rInnen der Grünen zur CDU herüberziehen, wenn wir nicht einen völligen Unfug in anderen Bereichen machen. Das positive daran ist: Wenn Umweltthemen en vogue sind, hilft das den Grünen . Auch dann, wenn andere das thematisieren, profitiert das Original.
EN: Erleichtert das umweltpolitische Engagement von Frau Merkel eine mögliche Zusammenarbeit von CDU und Grünen?
Wenn eine Partei wie die CDU, die auch ein potenzieller Koalitionspartner ist - wenn auch für die Masse der Grünen nicht der liebste - diese Themen bearbeitet, ist das grundsätzlich gut. Das erleichtert sicher auch den politisch-kulturellen Weg einer gemeinsamen Politikdefinition. Das finde ich positiv.
EN: In Hamburg steht die Landtagswahl an. Gibt es eine Chance für Schwarz/Grün?
Schwarz/Grün ist sicherlich kein Thema, mit dem die CDU oder die Grünen Wahlkampf machen können, weil es in den einzelnen politischen Blöcken Vorurteile gibt. Deshalb muss man sehen, ob es nach einer Wahl eine politische oder inhaltliche Mehrheit gibt in diesem Bereich, aber ich glaube, die Berührungsängste sind sehr viel geringer geworden.
EN: Noch vor zwei Jahren wurde eine Zusammenarbeit mit der CDU auf Landes- oder Bundesebene von den Grünen strikt ausgeschlossen. Was ist da passiert?
Es hat sich nach der Bundestagswahl etwas getan: Frau Merkel ist mit grünen Themen Bundeskanzlerin geworden. Frau Merkel ist jemand, der auch viel in dem Bereich tätig ist, in dem ich arbeite, in der Außenpolitik und in der Europapolitik. Sie ist zum Teil dichter an den Grünen dran als es Gerhard Schröder gewesen ist.
EN: . . . der als Bundeskanzler Waffenlieferungen an China wollte und Putin als lupenreinen Demokraten bezeichnet hat . . .
Zum Beispiel. Die von Frau Merkel thematisierten Menschenrechte sind für die Grünen ein wichtiges Thema, wie auch der Klimaschutz. In der Atomkraftfrage hat Frau Merkel eine andere Position als die Grünen. Insgesamt ist da wenig, was eine potenzielle Zusammenarbeit im Grundsatz ausschließt. Natürlich sind die Grünen in vielen Bereichen näher an der SPD als an der CDU. Aber eine Mehrheit mit der SPD wird es in absehbarer Zeit nicht geben.
EN: Man könnte die Linkspartei mit ins Boot nehmen?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Bei der Linken gibt es auch intern viele Konflikte. Und mit Leuten wie Lafontaine zusammen Außenpolitik zu machen, das geht nicht.
EN: Was würden sie machen, wenn es für Rot/Grün bei anstehenden Regierungsbildungen nicht reicht? Bevorzugen Sie den Block mit SPD und Linken, die Jamaika-Koalition oder eine Koalition mit der CDU?
Es gibt ja auch die traditionelle Ampel.
EN: Nur theoretisch, denn die FDP schließt als Folge der Bundesparteitagsbeschlüsse der SPD eine Zusammenarbeit mit der SPD aus.
Für Westerwelle ist die nächsten Bundestagswahl die letzte Chance, noch einmal in die Regierung zu kommen. Wenn das rechnerisch möglich ist, dann würde das auch gehen. Wenn, abgesehen von den Linken, die etablierten vier Parteien grundsätzlich miteinander koalitionsfähig sind, dann ist das auch ein Zeichen für die Stabilität unserer Demokratie.
EN: Wer wird denn der nächste starke Mann oder die nächste starke Frau bei den Grünen? Die Herren Trittin und Fischer haben sich ja schon mal getroffen Das hat gleich für Aufregung in Ihrer Partei gesorgt.
Jürgen Trittin hat in der Partei eine große Zustimmung. Er macht viel Außenpolitik, profiliert sich damit auch sehr gut, was bei einer Regierungsbildung für den kleinen Koalitionspartner immer zentral ist. Jürgen Trittin ist schon jemand, der eine ganz wichtige Rolle spielen wird. Renate Künast als Fraktionsvorsitzende sicherlich auch.
EN: Aber Trittin ist in der Bevölkerung nicht besonders beliebt.
Trittin wird nicht von allen geliebt, den möchten die meisten nicht einmal als Schwiegersohn haben, aber sie trauen ihm zu, dass er für die Sache, für die er steht ein hohes Durchsetzungspotenzial hat.
EN: Ein ganz anderes Thema. Energiedebatte, Strompreise. Wie sehen Sie Äußerungen wie die des EON-Chefs, der sagt, Strom müsste eigentlich noch teurer sein?
Auch die Grünen wissen, dass der Markt, was die Preise angeht, von der Konkurrenz lebt. Wir haben in Deutschland keine Struktur, die wirklich Energie- und Versorgungsunternehmen als Konkurrenten auftreten lässt. Wir haben natürlich die Möglichkeit, die Anbieter zu wechseln, aber durch diese Monopole ist das keine wirklich offene Wettbewerbssituation. Deshalb unterstützen wir die Europäische Union, die die Trennung zwischen Netz und Betrieb durchsetzen will.
EN: Halten sie das für wahrscheinlich, dass diese Monopol-Strukturen demnächst aufgebrochen werden?
Das ist eine Frage des politischen Wollens.
EN: Haben sie den Eindruck, dass SPD und CDU das im Moment verhindern?
Also, die SPD tut da nichts.
EN: Warum?
Wenn Sie sich angucken, wer da mit wem verbandelt ist. Die großen Energiekonzerne sind immer auch ein Teil der Einflusssphäre der Sozialdemokratie gewesen. Der rot-grüne Wirtschaftsminister Müller ist in diesen Bereich gegangen und viele andere Sozialdemokraten sind da tätig.
EN: Haben sie zuhause Ökostrom?
Ja, in Berlin beziehe ich meinen Strom von Lichtblick und hier habe
ich meine Stadtwerke, die bieten mir auch Öko-Tarif-Preise an.
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Rainer Steenblock ist waschechter Ostfriese. Er wurde an einem Sonntag, dem 29. Februar 1948, in Großefehn geboren. Wegen seines Psychologiestudiums zog er 1968 nach Hamburg. Nach der Geburt seiner Tochter zog er 1978 mit seiner Familie nach Halstenbek. Hier trat er 1983 den Grünen bei.
Seit September 2002 ist Steenblock nicht nur europapolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, sondern vertritt die Partei auch in vielen parlamentarischen Gremien. Außerdem ist er Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, der Westeuropäischen Union (WEU) sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Deshalb beschränkt sich seine Arbeit nicht nur auf Berlin und den Wahlkreis, sondern findet auch in Straßburg und weiteren europäischen Städten statt.
Seine Mitgliedschaften in verschiedenen Parlamentariergruppen bringen es mit sich, dass Steenblock für den Bundestag auch sonst viel in Europa und dem Rest der Welt unterwegs ist. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Südamerikanischen, der Deutsch-Zyprischen und der Deutsch-Kroatischen Parlamentariergruppe. Außerdem gehört er der Deutsch-Kaukasischen und der Deutsch-Japanischen Parlamentariergruppe an.
Die außenpolitische Arbeit bringt es mit sich, dass Steenblock weitaus weniger als andere Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis präsent sein kann. Stattdessen muss er ständig reisen. "Manche Menschen beneiden mich um die Reisen. Aber das ist meistens sehr anstrengend", sagte er. So war er allein zwischen Juli und Oktober in der Ukraine, zweimal in Japan sowie in China, Venezuela, Armenien und Aserbaidschan. Steenblock versucht, seine Arbeit im Ausland in den Wahlkreis einzubringen. Er bemüht sich derzeit um eine Partnerschaft von Elmshorns Bismarckschule zu einer Schule in Aserbaidschan oder Georgien.
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