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Die Grenzen der Europäischen Union bestehen zu zwei Dritteln aus Küsten und die Hoheitsgewässer der Mitgliedstaaten sind umfangreicher als ihr kontinentales Hoheitsgebiet. Die maritime Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren zu einem besonders zukunftsträchtigen Feld der Weltwirtschaft entwickelt. Gleichzeitig bedrohen Überfischung, Lärmbelastung, Verschmutzung und Verlust der Biodiversität die europäischen Meere in einer nie da gewesenen Weise.
Dringenden Handlungsbedarf hat auch die Europäische Kommission erkannt und deshalb im Juni das „Grünbuch Meerespolitik“ vorgelegt. Ziel ist es, alle Nutzungsinteressen – Seeverkehr, Industrieentwicklung, Tourismus, Energie, Fischerei, Forschung – „nachhaltig“ unter einen Hut zu bringen. „Die EU hat jetzt die einmalige Gelegenheit, das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung auf den Meeresbereich anzuwenden und damit den Meeresschutz entscheidend voranzubringen“, begrüßt der grüne Bundestagsabgeordnete Rainder Steenblock die Initiative der Kommission.
Dass es über die Realisierung dieser Vision allerdings erheblichen Diskussionsbedarf gibt, zeigt ein von Rainder Steenblock organisiertes Fachgespräch, das diese Woche in Berlin stattgefunden hat. VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen, Sachverständige und PolitikerInnen warfen dort einen kritischen Blick auf die Vorschläge der Kommission, diskutierten die Schwächen des Konzepts und erarbeiteten alternative Vorschläge zur europäischen Meerespolitik.
Die wichtigste kritische Anmerkung zum Grünbuch fasst Steenblock so zusammen: „Im Grünbuch ist zwar viel vom wirtschaftlichen Wachstumspotenzial die Rede, die Umweltprobleme, die mit der wirtschaftlichen Nutzbarmachung der Meere verbunden sind werden dagegen kaum erwähnt.“ Europa könne es sich jedoch nicht leisten, nur im Kontext wirtschaftlicher Nutzung dem Umweltschutz eine Funktion einzuräumen: „Wir brauchen einen neuen Ansatz, der das Meer nicht nur als Rohstoffbasis, sondern als Umwelt sieht.“
Nachbesserungen forderten die ExpertInnen vor allem in den Sektoren Fischerei, Landwirtschaft und Seeschifffahrt. Das Grünbuch liefert beispielsweise keinerlei Analyse des deprimierenden Zustands vieler Fischbestände der EU, der zum großen Teil auf Überfischung, nicht nachhaltige Fangtechniken und viel zu große Fischereiflotten zurückzuführen ist. Hier ist die Europäische Kommission aufgefordert, ein Schutzkonzept mit klaren Zielvorgaben zu entwickeln. „Die vage Stoßrichtung des Grünbuchs muss jetzt deutlich konkretisiert werden“, fordert Steenblock. Als zentrale Schwächen wurden in der Diskussion außerdem der sehr wenig ambitionierte Zeitplan und die mangelnde Konsistenz von Maßnahmen und Programmen, die den Meeresschutz betreffen, genannt. Problematisch ist auch, dass Ausgestaltung und Umsetzung ausschließlich in Händen der Mitgliedstaaten liegen sollen.
Mit der Vorlage des Grünbuchs will die Kommission einen breit angelegten, europaweiten Diskussionsprozess über die künftige Meerespolitik der EU anstoßen, an dem sich in den kommenden Monaten jeder mit Beiträgen zum Thema beteiligen kann. Steenblock ruft alle politischen Akteure in Norddeutschland auf, den nun eingeleiteten Prozess zu nutzen und mit konkreten Forderungen an die Kommission heranzutreten: „Denn gerade die Ostsee ist von vielen im Grünbuch angesprochenen Problemen im besonderen Maße betroffen.“